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Januar 2010
03.01.2010 Strafrecht
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Der Hintermann als Täter mittelbarer Täter
   
 
(1) Handelt jemand irrtumsfrei und uneingeschränkt schuldfähig, so ist sein Hintermann regelmäßig nicht mittelbarer Täter. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen der unmittelbar handelnde Täter nicht nur rechtlich, sondern vor allem tatsächlich das Geschehen umfassend beherrscht und auch beherrschen will. Dann hat der Hintermann in der Regel keine Tatherrschaft. (1)
 
 
(2) Es gibt aber Fallgruppen, bei denen trotz eines uneingeschränkt verantwortlich handelnden Tatmittlers der Beitrag des Hintermannes nahezu automatisch zu der von diesem Hintermann erstrebten Tatbestandsverwirklichung führt. Solches kann vorliegen, wenn der Hintermann durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst. Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Abläufen kommen insbesondere bei staatlichen, unternehmerischen oder geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen und bei Befehlshierarchien in Betracht. Handelt in einem solchen Fall der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns, ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft. (3)
 
 

 
Der Hintermann ist der Täter, der nicht offen auftritt und nur durch seine Handlanger handelt. Er bleibt sozusagen im Schatten und hat doch die Zügel in der Hand.

Wie ist seine täterschaftliche Stellung zu beurteilen?

Nach § 25 Abs. 1 StGB wird als Täter bestraft, wer die Tat selber begeht. Der zentrale Begriff dafür ist die Tatherrschaft. Sie ist gekennzeichnet vom Täterwillen, also von der Entscheidung über das Ob, Wann, Wo, gegen wen und das Wie der Tatausführung.

Teilen sich mehrere Täter die Tatausführung (2) so, dass sie für jeweils einen notwendigen Teil des Tatplans die Tatherrschaft übernehmen, oder handeln sie gemeinsam, werden sie alle gemäß § 25 Abs. 2 StGB als Mittäter gleich einem Einzeltäter behandelt.

Vom Mittäter unterscheidet sich der Gehilfe ( § 27 Abs. 1 StGB) dadurch, dass er nicht nach der Tatherrschaft trachtet, sondern sich mit Teilnehmerwillen der Tatherrschaft des anderen unterwirft. Das kann er nur bewusst, also mit Vorsatz machen.

Den Initiator des Täters bezeichnet das Gesetz als Anstifter ( § 26 StGB). Er fördert den Tatentschluss, hat aber keine Tatherrschaft.
 

 
§ 25 Abs. 1 StGB kennt eine weitere Täterschaftsform, die des mittelbaren Täters. Er ist derjenige, der die Tat "durch einen anderen begeht". Das kann er nur, wenn er anders als der Anstifter Tatherrschaft hat.

Die wichtigsten Fallgruppen für die mittelbare Täterschaft sind:

Der Hintermann beeinflusst einen psychisch Kranken so, dass er die Tat als willenloses Werkzeug mit verminderter oder ohne Schuld begeht ( §§ 20, 21 StGB). (4)

Der Hintermann vorenthält Herrschaftswissen, so dass das Werkzeug unter Irrtum handelt ( §§ 16, 17 StGB). Bekannte Beispiele dafür sind der Irrtum über eine scharfe Schusswaffe, die für eine Schreckschusswaffe gehalten wird, oder über die Wirkung von Giften oder Medikamenten.

Dem Werkzeug fehlt ein persönliches Merkmal der Strafbarkeit ( § 28 StGB). Neben den Vertretungsfällen ( § 14 Abs. 1 StGB) können das auch besondere Berufspflichten als "Richter", "Rechtsanwalt" u.a. sein.

Der Hintermann bildet schuldunfähige Kinder ( § 19 StGB) für Straftaten aus, lässt sie diese ausführen und übernimmt die Beute (5).

Diese traditionellen Formen der mittelbaren Täterschaft meint der BGH (1) ( links oben), wenn er vom unmittelbar handelnden Täter mit Tatherrschaft spricht.
 

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Er besitzt die Tatherrschaft. Er beherrscht das Geschehen tatsächlich weit mehr, als dies bei anderen Fallgruppen erforderlich ist, bei denen mittelbare Täterschaft ohne Bedenken angenommen wird, etwa bei Einsatz eines uneingeschränkt verantwortlichen Werkzeugs, das lediglich mangels einer besonderen persönlichen Pflichtenstellung oder mangels einer besonderen, vom Tatbestand verlangten Absicht nicht Täter sein kann. Auch bei Einsatz irrender oder schuldunfähiger Werkzeuge sind Fallgestaltungen häufig, bei denen der mittelbare Täter den Erfolgseintritt weit weniger in der Hand hat als bei Fällen der beschriebenen Art. (6)
 
 
Der Hintermann hat in Fällen der hier zu entscheidenden Art auch den umfassenden Willen zur Tatherrschaft, wenn er weiß, daß die vom Tatmittler noch zu treffende, aber durch die Rahmenbedingungen vorgegebene Entscheidung gegen das Recht kein Hindernis bei der Verwirklichung des von ihm gewollten Erfolgs darstellt. (7)
 
 

 
Der Gesetzgeber hat den mittelbaren Täter aber nicht auf diese traditionellen Fallgruppen beschränkt. Nach einer ausführlichen Darstellung des Meinungsstandes kommt der BGH schließlich zu dem Ergebnis, dass auch der als mittelbarer Täter anzusehen ist, wer Organisationsstrukturen schafft oder auch nur nutzt, um auf den unmittelbar Handelnden einzuwirken und dadurch zu bestimmte Straftaten zu bestimmen (siehe oben links).

In der Entscheidung ging es um Selbstschussanlagen und Minen entlang der Grenze der DDR und damit um die strafrechtliche Haftung der politisch Verantwortlichen.

Eine saubere und willkürfreie Lösung des Rechtsproblems verlangt nach einer Begründung, die vergleichbare Erscheinungsformen auch gleich behandelt. Dieser Verantwortung hat sich der BGH mit guten Argumenten gestellt (8).

Der BGH beantwortet die allgemein gestellte Frage, wie mit den Hinterleuten in verbrecherischen Organisationen umzugehen ist und das unabhängig davon, ob es sich um Staatsapparate, mafiöse Strukturen oder andere kriminelle Organisationen handelt.
  

 
Wenn der Machtapparat so dominant und stark ist, dass seine Normung eine Entscheidung des Tatmittlers zum rechtmäßigen Handeln verdrängt, dann sind im Einzelfall auch die Hinterleute gleich dem Tatmittler als mittelbare Täter verantwortlich.

Dieses Ergebnis ist nicht ganz unproblematisch, weil die Grenze zwischen Tat und Organisation zu verwischen droht.

Der mittelbare Täter muss einen gewissen Bezug zur tatsächlichen Tat behalten und kann nicht schlicht für alle Straftaten die Mitverantwortung tragen, die seine Gefolgsleute im wohl- oder missverstandenen Gehorsam ausführen. Die Grenzen zur kriminellen Vereinigung dürfen - als das speziellere Recht - nicht unterlaufen werden und die Ausweitung der mittelbaren Täterschaft darf nicht zu einem allgemeinen Organisationszugehörigkeits- und Gesinnungsstrafrecht ausufern.
 

zurück zum Verweis Missbrauch von Macht mafiöse Kriminalität
 
 
Eine so verstandene mittelbare Täterschaft wird nicht nur beim Mißbrauch staatlicher Machtbefugnisse, sondern auch in Fällen mafiaähnlich organisierten Verbrechens in Betracht kommen, bei denen der räumliche, zeitliche und hierarchische Abstand zwischen der die Befehle verantwortenden Organisationsspitze und den unmittelbar Handelnden gegen arbeitsteilige Mittäterschaft spricht. Auch das Problem der Verantwortlichkeit beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen läßt sich so lösen. Darüber hinaus kommt eine so verstandene mittelbare Täterschaft auch in Fällen in Betracht, in denen, wie in dem der Entscheidung BGHSt 3, 110 (9) zugrundeliegenden Sachverhalt, der Täter bewußt einen rechtswidrig handelnden Staatsapparat für die Verfolgung eigener Ziele ausnutzt. (10)
 

 
Der BGH spricht sehr deutlich von den Befehlen der verantwortlichen Organisationsspitze, die die Herrscher zu mittelbaren Tätern machen. Der Befehl ist die Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein Vorgesetzter einem Untergebenen macht. Sie muss - allgemein gesprochen - einen Tatbestand bezeichnen, bei dessen Eintritt so und nicht anders zu handeln ist. Zeitpunkt und Ort des Handelns sowie die Person des Opfers können dabei allgemein bleiben, wenn der Rahmen bestimmt ist, zum Beispiel: Jeder Flüchtling wird erschossen!

Mit dieser Einschränkung wird dem Befehlshaber auch kein Unrecht getan. Er entscheidet sich mit seinem Befehl für das Unrecht und muss deshalb auch die Konsequenz dafür tragen, dass der Befehlsempfänger entsprechend handelt.
 

 
Besonders interessant an der Lösung des BGH ist ihre Anwendbarkeit auf kriminelle Organisationen nach dem Vorbild der Mafia. Sie führt zur strafrechtlichen Mitverantwortung der Hinterleute, die sich auf Anweisungen beschränken und ansonsten nicht offen auftreten.

Die notwendige Grenze der strafrechtlichen Haftung verläuft zwischen konkreten Anweisungen und Allgemeinplätzen.

"Du weißt schon, was zu tun ist!", ist ein solcher Allgemeinplatz, der im Einzelfall Probleme aufwirft. Er kann die Anweisung enthalten, so wie gewohnt zu handeln, wenn es vergleichbare Situationen bereits gegeben hat, aber ohne sie auch den Befehlsgeber vom Tatmittler abtrennen.

Die Probleme ergeben sich im praktischen Einzelfall.
 

zurück zum Verweis kein Organisationsstrafrecht
 

 
 
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass einzelne Beiträge eines Mittäters, mittelbaren Täters oder Gehilfen zur Errichtung, zur Aufrechterhaltung und zum Ablauf eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebes zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden können, indem die aus der Unternehmensstruktur heraus begangenen Straftaten in der Person des betreffenden Tatbeteiligten zu einer einheitlichen Tat oder wenigen einheitlichen Taten im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden (...). Das kann namentlich auch für wiederkehrende gleichartige Einzelbetrugstaten im Rahmen einer betrieblichen Organisation gelten, die auf diese Weise zu einer einheitlichen Handlung verknüpft werden (...). Dabei darf jedoch nicht aus dem Blick verloren werden, dass § 263 StGB nicht als Organisationsdelikt, sondern als ein gegen das Vermögen einzelner Privater oder juristischer Personen gerichteter Straftatbestand konzipiert ist. Strafbar nach § 263 StGB ist nicht das Betreiben einer auf Betrug ausgerichteten Organisation als solcher, sondern die betrügerische Schädigung individuellen Vermögens. Der Umstand, dass Straftaten unter Schaffung und Ausnutzung einer Unternehmensstruktur "organisiert" begangen werden, ändert daher nichts daran, dass die mehrgliedrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 263 StGB, erforderlichenfalls hinsichtlich jedes - möglicherweise zu gleichartiger Tateinheit zusammenzufassenden - schädigenden Einzelaktes, konkret festgestellt sein müssen. Kommt mittelbare Täterschaft in Betracht, weil ein Hintermann unternehmerische oder geschäftsähnliche Organisationsstrukturen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst (...), müssen die von ihm nicht selbst verwirklichten Tatbestandsmerkmale in der Person des Tatmittlers begangen sein. (11)
 
 

 
(31.01.2010) Der BGH mahnt aber auch vor einer ausufernden Anwendung seiner Rechtsprechung zur organisierten Arbeitsteilung zwischen Mittätern (11).

Sie müssen sich zwar die tatvollendenden Handlungen ihrer Komplizen zurechnen lassen (12), haften aber nicht für den Aufbau der Organisation, sondern für die tatsächliche Vollendung der von ihnen vorbereiteten und getragenen Straftaten durch ihre Mittäter.

Damit thematisiert der BGH Selbstverständlichkeiten, bei denen man sich fragt, warum das nötig ist.

Muss es wohl ...

zurück zum Verweis Anmerkungen
 


(1) BGH, Urteil vom 26.07.1994 - 5 StR 98/94, Rn. 80

(2) Mittäterschaft und strafrechtliche Haftung

(3) ebenda (1), Rn. 81

(4) Eine noch wenig betrachtete Variante betrifft Menschen, die infolge einer Gewaltanwendung oder unter Lebensbedrohung unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung - PTB - leiden. Unter dem Einfluss des Täters können sie zu Handlungen bestimmt werden, die sie sonst nicht ausführen würden. Sie erkennen zwar, dass sie falsch handeln (Einsichtsfähigkeit), können womöglich aber nicht nach dieser Einsicht handeln (Steuerungsfähigkeit).
 

 
(5) literarisches Vorbild: Oliver Twist von Charles Dickens

(6) ebenda (1), Rn. 82

(7) ebenda (1), Rn. 83

(8) Günther Jakobs, Zur Täterschaft des Angeklagten Alberto Fujimori Fujimori, 14.11.2009

(9) im Internet nicht verfügbar

(10) ebenda (1), Rn. 84

(11) BGH, Beschluss vom 29.07.2009 - 2 StR 160/09, Rn 5

(12) BGH, Beschluss vom 29.04.2008 - 4 StR 125/08;
siehe auch gemischte Bande. Tatbeiträge
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018