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Dezember 2010
03.12.2010 10-12-05 Betrug
     
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Soweit das Landgericht hier fehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten gewertet hat, die Taten seien in Einzelfällen dadurch erleichtert worden, dass von Seiten der Banken und Sparkassen keine hinreichenden Sicherungen gegen Einbrüche und Diebstähle vorgesehen gewesen und die Taten dem Angeklagten und seinen Mittätern daher sehr leicht gemacht worden seien, beschwert dies den Angeklagten nicht. (4)
 

 
Die Schlagzahl der Veröffentlichungen des BGH in Strafsachen hat merklich nachgelassen. Mit einem heute veröffentlichten Beschluss widmet sich der 2. Senat besonders dem Kontoeröffnungsbetrug (1), der keine Überraschungen birgt, aber erfreulich gradlinig ist.

Dieser Senat hält jedenfalls an der schadensgleichen Vermögensgefährdung fest (2). Der 1. und der 3. Senat wenden sich seit 2009 von dieser Konstruktion ab und ersetzen sie durch eine kaufmännisch ausgerichtete Schadensdefinition, die auch kalkulatorische Realisierungskosten, Rückstellungen und anerkannte kaufmännische Risikobewertungen zulässt. Das geht in die Richtung, die im Sommer 2010 auch das BVerfG eingeschlagen hat (3).

Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung kann schon dann vorliegen, wenn der Täter unter Vorlage eines gefälschten Ausweises und Täuschung über seine Zahlungswilligkeit bei einer Bank Konten eröffnet und ihm antragsgemäß Kreditkarten ( BGHSt 33, 244 ff.) oder EC-Karten ( BGHSt 47, 160 ff.) ausgehändigt werden bzw. wenn ihm ein Überziehungskredit eingeräumt wird. <Rn 3>

Mit Kredit- und anderen Zahlungskarten übernimmt die Bank Garantiefunktionen und mit dem Überziehungskredit eröffnet sie Sollbuchungen ohne Guthaben zu ihrem Lasten. Das passt zu der wirtschaftlich ausgerichteten Rechtsprechung im Übrigen.

Konten auf Guthabenbasis können hingegen nicht zu einer Vermögensgefährdung führen.
 

 
Wegen eines "Überweisungsbetruges" kommt nur dann ein vollendeter Betrug in Betracht, wenn die Transaktion auch ausgeführt wird. Zuvor ist es nur ein versuchter Betrug, allerdings in aller Regel in Tateinheit mit einer vollendeten Urkundenfälschung.

Warum das überhaupt der Erörterung bedarf, mag man die erkennenden Kollegen vom Landgericht Aachen fragen.

Beim klassischen Überweisungsbetrug späht der Täter zunächst die Bankverbindung des Opfers aus und versucht, ein Abbild von dessen Unterschrift zu bekommen. Damit füllt der Täter einen Überweisungsträger aus, reicht ihn ein und hofft, dass die Überweisung ausgeführt wird.

An die Stelle des papiernen Überweisungsbetruges sind das Phishing und andere Formen des Identitätsdiebstahls im Zusammenhang mit dem Waren- und Zahlungsverkehr getreten.
 

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Aus meiner "persönlichen Kriminalitäts-Sicht" nehmen die Formen der Identitätstäuschung im Rechtsverkehr erschreckend zu. Gefälschte Ausweispapiere und Führerscheine sind massenhaft im Umlauf und billig zu haben. Das gilt auch für andere Wertpapiere, weniger für Geld, aber für Fahrkarten oder andere verbürgte Bezugsrechte. Für eine rumänische Identitätskarte, passenden Pass und Führerschein muss man vielleicht 1.500 € auf den Tisch legen. Damit schließt man einen Mietvertrag, legt alles beim Einwohnermeldeamt vor - und schon lebt (und fährt) man unter einer neuen Identität, die nicht bei der Schufa oder einem anderen Register bemakelt ist.

Unter einer solchen permanenten Alias-Existenz begeht man aber keine anderen Straftaten, sondern erleichtert sich nur den Zugang zur Warengesellschaft, der Dank Schufa, Creditreform und anderen Meldestellen behindert sein könnte. Für die Eröffnung von Bankkonten für krumme Geschäfte braucht man weitere Alias-Existenzen. Dafür reichen aber ein falscher Ausweis, drei gefälschte Gehaltsnachweise und eine erschlichene Meldebescheinigung - für vielleicht 500 €. Damit lassen sich vier, fünf Bankkonten einrichten, die jeweils 2.000 € bringen könnten, oder hochwertige Autos finanzieren.

Urkundenfälschung als Anwendungsdelikt ist lange belächelt worden und unbeachtet geblieben. In der allseits akzeptierten Globalwelt sind aber die sozialen Kontrollmechanismen auf Null gefahren. All is usual. Das sind die besten Voraussetzungen für Betrug und Missbrauch.
 

 
Hinzu kommt die Cybercrime mit dem Identitätsdiebstahl und dem Carding, von dem Phishing und Skimming nur besondere Erscheinungsformen sind.

Nennen wir das Ganze "Identitätsglibber". Unter seiner Regie fällt es leicht, andere Identitäten vorzugaukeln, und ist es unbeschwert möglich, fremde oder falsche Identitäten anzunehmen, weil die soziale Kontinuität und Kontrolle aufgegeben wurden.

Ein untergetauchter Mensch, der seine Identität ändert und unter ihr ein neues Leben beginnt, integriert sich in seine neue Umgebung und wird - ungeachtet seiner Motive und seiner möglicherweise dunklen Vergangenheit - ein aktiver Teil von ihr. Das gilt nicht für den Glibberer nach den klassischen Vorbildern von Zorro oder Batman, der kurzfristig in eine ungreifbare Tarnexistenz taucht. In ihr ist er frei - nicht im philosophischen, sondern im egoistischen Sinne. Er kann ungestraft von Moral, Sitte und Recht alles tun, was ihm als gutmenschliches und böswilliges Tun einfällt.

Dabei verliert seine Umgebung jede Kontrolle über ihn.

Da sind wir jetzt. Die klassische Politökonomie würde die Glibberei als Anarchie bezeichnen, die als Gegenkonzept zur Feudalgewalt ihre Berechtigung hatte. In einem interessenausgependelten demokratischen Rechtsstaat hat sie hingegen nichts zu suchen.
 

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(1) BGH, Beschluss vom 14.10.2010 - 2 StR 447/10

(2) Schaden und schadensgleiche Vermögensgefährdung, 31.01.2010

(3) BVerfG: Bezifferter Gefährdungsschaden, 15.08.2010

(4) BGH, Beschluss vom 27.10.2010 - 2 StR 487/10, Rn 5
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018