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Januar 2012
10.01.2012 Eigensicherung
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift straflose Erschießung eines SEK-Beamten

 

spektakulärer Freispruch vom BGH
ist ein SEK-Einsatz rechtswidrig?

Mit seiner plausiblen und dennoch höchst unerfreulichen Entscheidung hat der BGH ein führendes Mitglied der Hells Angels vom Totschlag an einem Polizeibeamten freigesprochen (1). Das Gericht ist seiner Einlassung gefolgt, wonach er sich eines Angriffs der rivalisierenden Bandidos und in ernsthafter Gefahr wähnte. Außerdem hat sich der SEK-Beamte trotz seiner Aufforderung einfach nicht "verpisst", wie er zitiert wird. Der Hells Angels feuerte ohne Warnschuss zwei Kugeln ab und eine davon drang neben der Schutzweste in den Oberkörper des Beamten ein.

Der BGH sieht den Angeklagten in einem Irrtum über Tatumstände (Rn 21, § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB), hier einer Notwehrsituation ( § 32 StGB): Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, dann ist sie grundsätzlich dazu berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; der Angegriffene muss sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist. Das gilt auch für die Verwendung einer Schusswaffe <Rn 23>.

Mich erschreckt eigentlich eine andere Passage in dem Urteil des BGH:

Eine Notwehrlage hätte für <den Angeklagten> vorgelegen, wenn der Polizeieinsatz in seiner konkreten Gestalt nicht rechtmäßig war. Gegen die Rechtmäßigkeit könnte sprechen, dass es sich bei einer Durchsuchung um eine grundsätzlich offen durchzuführende Maßnahme handelt. Ob sich für das konkrete Vorgehen der Polizei in den §§ 102 ff. StPO eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ergibt (...), kann zweifelhaft sein. § 164 StPO erlaubt ein Einschreiten nur gegen eine tatsächlich vorliegende oder konkret bevorstehende Störung der Durchsuchung (...). Ob präventiv-polizeirechtliche Regeln das Verfahren der strafprozessualen Durchsuchung abändern können, ist fraglich (...) <Rn 19>.

In der Tat, die Polizei hat nicht geklingelt und freundlich um Einlass gebeten, um einen Durchsuchungsbeschluss zu vollstrecken. Statt dessen hat sie ein SEK eingesetzt. Weil der Angeklagte als gewaltbereit eingeschätzt wurde und - mit behördlicher Erlaubnis - über Schusswaffen verfügte, beschloss das Landeskriminalamt, dass ein Spezialeinsatzkommando eingesetzt werden solle, um gewaltsam in das Haus des Angeklagten einzudringen, diesen im Schlaf zu überraschen, eine "stabile Lage" herzustellen und eine ungestörte Durchsuchung zu ermöglichen <Rn 7>.

Der BGH lässt die Frage nach der Rechtswidrigkeit dahinstehen. Musste aber Mal gesagt werden. Warum aber?

Der gedankliche Ausflug des BGH ist eine Schwadronade auf hohem Niveau, der den Gedanken an Weltfremdheit aufkommen lässt. Der Angeklagte ist nicht einfach nur ein bäriger Motorradfreund, sondern der "Sergeant at Arms" seines Chapters und als solcher nicht nur für die Disziplin und Ordnung oder für Beschaffung und Verkauf von "Support"-Artikeln, wie Jacken, Hemden und Kappen mit Emblemen der "Hells Angels", zuständig <Rn 2,3>, sondern vor Allem für das Waffenarsenal der Gang, das nach journalistischen und literararischen Quellen eher aus Kriegs- als aus Spielzeugwaffen bestehen muss. Das sagt schon sein Titel.

Eine gefährliche Schwadronade, weil sie den Aspekt der Eigensicherung völlig ausblendet. Die Zeiten des unbewaffneten Bobbies auf Londoner Straßen sind lange vorbei. Bei jeder Maßnahme muss sich die Polizei Gedanken darüber machen, welchen Gefahren ihre Beamten ausgesetzt sein können. Bei gewalttätigen oder mit Schusswaffen ausgestatteten Tätern kann höfliches Klingeln tödlich sein. Die polizeiliche Eigensicherung wird vom Gesetzgeber auch im Strafverfahrensrecht verschämt, aber doch ausdrücklich anerkannt ( § 161 Abs. 3 StPO).

Zudem eine sachlich falsche Schwadronade. Ob sich rechtlich eine Eingriffsmaßnahme als offene oder heimliche darstellt, orientiert sich an der Maßnahme als ganze und nicht daran, wie sie taktisch eingeleitet und durchgeführt wird. Hier sollte keine Durchsuchung verheimlicht, sondern offen und anfechtbar durchgeführt werden. Der Betroffene sollte nur die eingesetzten Beamten nicht verletzen oder töten können. Die Taktik hat sich hier als fatal falsch erwiesen. Das stellt den Einsatz eines Rollkommandos aber nicht grundsätzlich in Frage.

Die Frage nach der Verhälnismäßigkeit der Taktik darf die Durchführung der Eingriffsmaßnahme nicht grundsätzlich von der Gefährlichkeit des Betroffenen abhängig machen. Seine Persönlichkeitsrechte dürfen nicht überzogen beeinträchtigt werden, darüber gilt es nicht zu streiten. Der Strafverfolgungsanspruch der Allgemeinheit darf aber auch nicht so weit verdrängt werden, dass der Eindruck entsteht: Gegen Subkulturen und Parallelgesellschaften bestimmter Ausprägungen darf der Staat nicht mehr vorgehen, weil diese ganz ganz böse und unberechenbar werden können.

Ob die polizeilichen Überlegungen über Taktik und Verhältnismäßigkeit immer richtig sind, ist eine andere Frage und Anlass für Streite, von denen ich schon einige (und vielleicht zu viele) hinter mir habe. Insoweit mögen sich polizeiliche Überzeugungswelten verselbständigt und seitens der Staatsanwaltschaft zu wenig hinterfragt worden sein. Sie hat aber die Gesamtverantwortung für das Ermittlungsverfahren und muss leitend eingreifen.

Wenn ich im Zweifel bin, akzeptiere ich das geschulte polizeiliche Bauchgefühl bei der Gefahreneinschätzung - nicht ohne kritische Nachfragen wegen der Entscheidungsgrundlagen, womit ich auch wieder anecke. Nach der Sachverhaltsschilderung des BGH hätte ich keine Zweifel daran gehabt, dass ein SEK eingesetzt werden muss. 

Auch aus einem anderen Grund ist es eine sachlich falsche Schwadronade. Die Frage nach dem Störer ( § 164 StPO) stellt sich tatsächlich erst während der Durchführung einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme. Er kann während der Maßnahme und längsten bis zum nächsten Tag weggesperrt werden. Das hat aber nichts mit der Planung und taktischen Durchführung der Eingriffsmaßnahme zu tun, auf die der BGH in diesem Fall anspricht.

Das Maßnahmenvollzugsrecht ist Polizeirecht und der Gesetzgeber hat es versäumt, ein eigenes Vollzugsrecht im Strafverfahrensrecht einzuführen. Das mag falsch sein, aber erst 2007 hat der Gesetzgeber dieses Nebeneinander von Eingriffsrecht (StPO) und Vollzugsrecht (Polizeirecht) verbunden, indem er § 161 Abs. 3 StPO schuf. Dieses System entscheidend in Frage zu stellen, steht nicht dem BGH, sondern nur dem BVerfG an.

Der Vorsitzende des vierten Senats des BGH würde sagen, dass die Infragestellung des SEK-Einsatzes in dieser Entscheidung nicht tragend war. Damit hätte er Recht und wir könnten alle "ja ja ja" sagen, was seit Brösel als ein Synonym für ein Zitat von Götz von Berlichingen gilt. Da die Schwadronade aber in der Welt ist, musste ihr etwas entgegen gesetzt werden. "Ja ja ja" gegen meine Worte höre ich vorausschauend.
 

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(1) BGH, Urteil vom 02.11.2011 - 2 StR 375/11
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018