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Fingerabdruck
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Zwangsweise Abnahme von Fingerabdrücken beim Dritten
 

 


Ausgangsfrage
Sachverhalt
Anzuwendende Vorschriften
Tatbestandliche Voraussetzungen
   und Verfahren

Anmerkung: Methodik
Anmerkung: Fingerabdrücke
Anmerkungen
  


 Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete und gekürzte Fassung eines 2001 im EDV-Workshop erschienenen Beitrags.

Der zugrunde liegende Vermerk datiert vom 27.06.2000.

Der Sachverhalt wurde für diese Fassung gekürzt und anonymisiert.
 

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In dem Ermittlungsverfahren ist die Rechtsfrage zu klären gewesen,

ob und unter welchen Voraussetzungen Nichtbeschuldigte dazu gezwungen werden können, Fingerabdrücke zu Vergleichszwecken aufnehmen zu lassen.

Ich bin der Auffassung, dass dies unter den – gegenüber den Anforderungen des § 103 StPO – strengeren Voraussetzungen des § 81c Abs. 1 StPO grundsätzlich zulässig ist.
 


Das besondere an der Frage ist im Jahr 2000 gewesen, dass sie in der Kommentarliteratur nicht angesprochen worden war, so dass ich in die Gesetzessystematik, die Kommentarliteratur und Rechtsprechung tiefer einsteigen musste. Darüber hinaus geht es um eine Grenzziehung, die vom Gesetzgeber nicht (oder kaum) angesprochen wird und eine Entscheidung darüber verlangt, ob die Aufnahme von Fingerabdrücken eine Untersuchung an der Person oder eine Suche am Körper ist.

Hätte ich mir die Frage so (wie hier) gestellt, wäre mir die Antwort leichter gefallen. Dennoch bin ich zu der richtigen Antwort gelangt.
 

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Der Betroffene ist möglicherweise im Oktober 1981 in seinem Ladengeschäft überfallen und derart geschlagen worden, dass er ohnmächtig wurde. Es wurden Waren von erheblichem Wert aus dem Ladengeschäft verbracht.

Die Täter sind nicht gefasst worden.

Die Tat zum Nachteil des Betroffenen ist als schwerer Raub gemäß § 250 StGB a.F. zu qualifizieren, so dass die Verfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB nach zwanzig Jahren im Oktober 2001 eintritt.

Soweit auch gegen den Betroffenen im Zusammenhang mit der Tat aus dem Jahr 1981 wegen versuchten Betruges zum Nachteil einer Schadensversicherung und anderer Verwürfe ermittelt wurde, ist er 1989 rechtskräftig freigesprochen worden. Die ihm vorgeworfenen Handlungen sind im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen bis fünf Jahre bedroht gewesen.

 
Das Doppelte der Verjährungsfristen gemäß §§ 78 Abs. 3 Nr. 4, 78c Abs. 3 S. 2 StGB ist spätestens im November 1991 abgelaufen, so dass der Betroffene nicht mehr als Beschuldigter in Betracht kam.

Im Juni 2000 wurde ein Teil der 1981 als entwendet gemeldeten Gegenstände wieder gefunden. Die Ermittlungen zum Nachteil des Betroffenen wegen schweren Raubes wurden deshalb wieder aufgenommen. An den Gegenständen befanden sich neben nicht verwertbarem Genmaterial Fingerspuren, die teilweise von den unbekannten Tätern herrühren konnten.

Neben den unbekannten Tätern und Kontaktpersonen aus dem Jahr 2000 kam als Spurenverursacher auch der Betroffene als potenzieller Besitzer oder Eigentümer der Beweisgegenstände in Betracht.

Für die Ermittlungsbeamten stellte sich deshalb die Frage, ob der Betroffene zur Abnahme von Fingerspuren zu Vergleichszwecken gezwungen werden kann.
 

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Die Aufnahme von Fingerabdrücken wird im Gesetz - außerhalb des Polizeirechts (1) - nur in § 81b StPO geregelt. Der Gesetzgeber behandelt diese strafprozessuale oder erkennungsdienstliche Behandlung als geringfügiger in Persönlichkeitsrechte eingreifende Maßnahme der körperlichen Untersuchung des Beschuldigten (2) gemäß § 81a StPO. Gleichzeitig stellt § 81b StPO eine Öffnung des Strafverfahrensrechts zum Polizeirecht dar, weil er die erkennungsdienstliche Behandlung auch unter den polizeirechtlichen Gesichtspunkten der Prävention und der Ermittlung sonstiger, nicht den Gegenstand der Untersuchung betreffender Sachverhalte zulässt (3).

Eine entsprechende, rein strafprozessuale Regelung für Nichtbeschuldigte fehlt. Auch die Rechtsprechung und die Literatur schweigen zu dieser Frage.

Die "Durchsuchung bei anderen Personen" gemäß § 103 Abs. 1 StPO umfasst nach einhelliger Meinung der Kommentar- und sonstigen Literatur auch die körperliche Durchsuchung des Nichtbeschuldigten (4). Dies gilt zweifellos für die Kleidung des Nichtbeschuldigten.

Eine negative Abgrenzung zu den Duldungspflichten des Nichtbeschuldigten im Sinne von § 103 StPO unternimmt Senge (5): Die körperliche Untersuchung gemäß der §§ 81a, 81c StPO betreffe den unbekleideten Körper.
 


Der "Duldungsmaßstab" für den Fall der Aufnahme von Fingerabdrücken lässt sich damit nicht sicher bestimmen. Für einen Anwendungsfall des § 103 StPO spräche, dass die körperliche Durchsuchung neben der Kleidung auch die bloßen Körperteile umfassen dürfte (Kopf und Hände, ggf. auch Arme, Füße, Beine und Oberkörper). Diese Körperteile sind damit Spurenträger und für die Sicherstellung von Beweisgegenständen zugänglich - soweit sich Beweisgegenstände im Sinne von § 94 Abs. 1 StPO am Körper versteckt oder auf ihm haftend befinden.

Für den Beschuldigten hat der Gesetzgeber hingegen eine besondere Vorschrift für die Aufnahme von Fingerabdrücken mit dem § 81b StPO geschaffen und somit diese Maßnahme den körperlichen Untersuchungen zur Seite gestellt oder untergeordnet. Dies spricht dafür, dass er die Aufnahme von Fingerabdrücken des Nichtbeschuldigten ebenfalls als Fall der körperlichen Untersuchung verstanden haben will. Für diese systematische Auslegung spricht weiterhin, dass die "Aufnahme" von Fingerabdrücken tiefer in Persönlichkeitsrechte eingreift als die Suche nach Beweisgegenständen gemäß § 103 StPO mit dem Ziel ihrer Sicherstellung ( § 94 Abs. 1 StPO).

Danach kommt eine zwangsweise Aufnahme von Fingerabdrücken des Nichtbeschuldigten nur unter den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 81c StPO in Betracht.
 
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Die zwangsweise körperliche Untersuchung ist nur zulässig, wenn die Person als Zeuge in Betracht kommt und "soweit zur Erforschung der Wahrheit festgestellt werden muss, ob sich an ihrem Körper eine bestimmte Spur befindet" ( § 81c Abs. 1 StPO).

Der gesetzliche Zeugengrundsatz schließt Reihenuntersuchungen an Tatunverdächtigen aus (6). Im übrigen kommt es nur darauf an, ob die Person als Zeuge für die strafrechtliche Untersuchung in Betracht kommt.

Darüber hinaus ist der Spurengrundsatz zu beachten: Nach der Kommentarliteratur sind Spuren solche unmittelbar durch die Tat verursachten Veränderungen am Körper, die Rückschlüsse auf den Täter ermöglichen (7).

 
In der Literatur werden aber solche Spureneigenschaften des Körpers nicht erwähnt, die von Natur aus und unabhängig von der Tat bestehen. Dabei handelt es sich z.B. um Haare, Blut oder Fingerabdrücke des Opfers, die mit Spuren vom Täter oder von seinen Sachen verglichen werden sollen.

Der Spurengrundsatz, wie ihn die Kommentarliteratur beschreibt, schränkt den Gesetzeswortlaut zu stark ein. Aus den gesetzessystematischen Erwägungen, die oben dargelegt sind, muss dieser Spurenbegriff dem Wortlaut des § 81c StPO wieder angepasst werden.

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Wenn aus der Systematik der §§ 81a und 81b StPO zu schließen ist, dass auch die Aufnahme von Fingerabdrücken des Nichtbeschuldigten Gegenstand der körperlichen Untersuchung nach § 81c StPO sein soll, so müssen auch die Spureneigenschaften des Körpers dem Spurengrundsatz unterliegen, soweit sie von § 81b StPO benannt werden: Lichtbilder und Fingerabdrücke.

Eine andere Auffassung würde keine vernünftige Erklärung dafür liefern können, warum der Nichtbeschuldigte einerseits gemäß § 103 StPO körperlich durchsucht und seine Kleidung sichergestellt oder als Sicherstellungssurrogat fotografiert werden kann und andererseits gemäß § 81c StPO in tief schamverletzender Weise seine natürlichen Körperöffnungen nach Tatspuren untersucht werden dürfen, aber die nur geringfügig in Persönlichkeitsrechte eingreifende Aufnahme von Fingerabdrücken nicht als Spurensicherstellung möglich sein soll.
 

Bei der Entscheidung im Einzelfall sind hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen ( § 81c Abs. 4 StPO), wobei das bei der Bedeutung der Strafsache bestehende Aufklärungsinteresse und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gegeneinander abgewogen werden müssen.

Die zwangsweise Maßnahme unterliegt dem Richterprivileg ( § 81c Abs. 5 StPO) und im Falle der Weigerung können die Ungehorsamsfolgen des § 70 StPO angeordnet werden ( § 81c Abs. 6 StPO).

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Warum ist der Artikel aus dem EDV-Workshop noch immer von Bedeutung?

Es geht um die Methodik. Also um die Frage, wie ich einen Sachverhalt, also ein tatsächliches Geschehen,

- darauf reduziere, welche Fakten bedeutend und als sicher (oder beweisbar) vorausgesetzt werden können,

- wie ich die Regeln des Gesetzgebers bestimme, die er auf diese oder vergleichbare Konstellationen angewandt wissen will (Gesetze, Verordnungen usw.),

- und wie ich das Recht im Einzelfall anzuwenden habe.

In den allermeisten Fällen ergeben sich die wichtigsten Hinweise darauf, wie das Recht anzuwenden ist, aus dem Wortlaut des Gesetzes und der Systematik, also aus dem Zusammenspiel verschiedener gesetzlicher Regelungen.
 


Die Rechtsprechung hat grundsätzlich eine nachrangige Bedeutung.

Nur wenn das Bundesverfassungsgericht über die verfassungsrechtliche Wirksamkeit von Gesetzen entscheidet ( Normenkontrolle, § 13 Nr. 6 bis 8, 10, 11, 12, 14 Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG), hat es eine allgemeine Wirkung auf das Recht insgesamt. Im übrigen entscheidet auch das BVerfG wie alle anderen Gerichte im Einzelfall und die weitere Rechts- und Spruchpraxis muss zeigen, ob und wie die gefundene Lösung in anderen Fällen anzuwenden ist.

So hat auch das BVerfG mit seinen Allgemeinaussagen schon einmal neben der Sache entschieden (Verbindungsdaten im Mobiltelefon, Beschluss vom 04.02.2005 - 2 BvR 308/04) und sich nach heftiger Kritik später korrigiert ( Urteil vom 02.03.2006 - 2 BvR 2099/04). Das zeugt von Professionalität und Größe.
  

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Trotz gelegentlicher Kritiken (siehe rechts) kann die forensische Daktyloskopie als gesicherte Methode zur Auswertung biometrischer Merkmale angesehen werden ( LKA Niedersachsen). Seit 1993 erfolgt eine automatische Fingerspurenauswertung mit dem Automatisierten- Fingerabdruck-Identifizierungs-System -AFIS.
 

 
Florian Rötzer, Fehler beim Vergleich von Fingerabdrücken, Telepolis 15.09.2005

Fingerabdruck rehabilitiert, Heise online 08.04.2002

Florian Rötzer, Vergleich von Fingerabdrücken kein wissenschaftliches Verfahren, Telepolis 15.01.2002
 

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(1) § 15 NGefAG (Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz) lässt erkennungsdienstliche Maßnahmen nur zur Identitätsfeststellung von Personen und zur Verfolgung oder Verhütung von Straftaten zu.
Inzwischen gilt das neue Polizeirecht: Niedersächsisches Gesetz für Sicherheit und Ordnung - SOG.

(2) Vergl. LR-Hans Dahs, § 81c StPO, Rn. 2 (24. Aufl.).
Quelle wurde nicht aktualisiert.

(3) Vergl. z. B. die Zusammenfassung bei Roxin, Strafverfahrensrecht, München 1998, § 33 A III. (S. 275 f.).
Quelle wurde nicht aktualisiert.

(4) Vergl. z.B. LR-Gerhard Schäfer, § 103 StPO, Rn. 13 (24. Aufl.).
Quelle wurde nicht aktualisiert.
 

 
(5) KK-Senge, § 81c StPO, Rn. 3 (4. Aufl.).
Quelle wurde nicht aktualisiert.

(6) LR-Hans Dahs, § 81c StPO, Rn. 12; KMR, § 81c StPO, Rn. 12 (Stand 1998).
Quelle wurde nicht aktualisiert.
Die DNA-"Reihenuntersuchung" wird jetzt von § 81h StPO geregelt. Sie verlangt nach einer richterlichen Zustimmung und nach einer freiwilligenTeilnahme der Vergleichspersonen ( Eingriffsmaßnahmen).

(7) Einhellige Kommentarmeinung: Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 81c StPO, Rn. 12 (44. Aufl.); LR-Hans Dahs, § 81c StPO, Rn. 14 u.v.a.m.
Quelle wurde nicht aktualisiert.
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018