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Strugatzki
30.12.2008 Strugatzki
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Atomvulkan Golkonda ...
Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein
phantastische Märchen
Ausflüge
Gesellschaftskritik
Erzählungen
letztes gemeinsames Werk
nachkommunistische Reflexionen
Fazit

 
Die Brüder Arkadi (1925 - 1991) und Boris Strugatzki (* 1933) sind die im Ausland bekanntesten russischen Schriftsteller im Bereich der phantastischen und der SF-Literatur. Arkadi war Anglist und Japanologe, Boris arbeitete als Astronom am Pulkowo-Observatorium bei Leningrad. (1)

Die Informationen in der über die beiden Autoren sind knapp, werden aber von einer ausführlichen Bibliographie ergänzt. Ihre Werke werden aber kaum und wenn nur sehr kurz beschrieben. Auch im übrigen werden sie im deutschsprachigen Internet - unverdient - kaum erwähnt (1a).

Die meisten ihrer Erzählungen und Romane veröffentlichten sie unter ihren gemeinsamen Namen. Zwei reife und anspruchsvolle Werke des Boris Strugatzki, die nach dem Tod seines Bruders geschrieben und auf Deutsch erschienen sind, bedürfen einer besonderen Erwähnung.

In den sechziger Jahren sind die (west-) deutschen Übersetzungen ganz überwiegend bei Heyne, vereinzelt bei Ullstein und später als Suhrkamp-Taschenbücher erschienen und das immer als Taschenbücher. Erstausgaben erschienen meistens als Hardcover im Verlag "Marion von Schröder", dessen Programm Suhrkamp übernahm, und jüngst bei Klett Cotta.
 

 
Während die frühen Werke der Brüder die technische Bewältigung der Raumfahrt thematisieren, wurden ihre Romane zunehmend nachdenklicher, teilweise märchenhaft, kritischer und philosophischer. Damit wandten sie sich von der Jefromow-Doktrin ab, wonach die SF nur eine positive Zukunft mit friedfertigen Menschen thematisieren soll (2).

Ihre Entwicklung ist nicht zu unterschätzen. Sie haben sich auf dem regulierten Buchmarkt der Sowjetunion behauptet, obwohl sie immer stärker auch die heimischen Lebensverhältnisse kritisch ansprachen. Das vor Allem in dem Roman "Die häßlichen Schwäne", den Alpers u.a. auf das Jahr 1972 datieren und der in der Sowjetunion nie erscheinen durfte.

Die harmloseren Werke verstecken ihre Bezüge zu der damals aktuellen Zeit in philosophischen Dialogen und moralischen Entscheidungsprozessen der Protagonisten.
 

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Die Helden im Atomvulkan Golkonda unternehmen eine Venus-Expedition und sterben fast alle dabei ( Kurzrezension).

Es handelt sich um den ersten Roman der Strugatzki-Brüder und er erschien 1959 (3). Er ist packend erzählt und lässt auf dem inneren Nachbarplaneten eine an unwirtliche Lebensverhältnissen angepasste Pflanzen- und Tierwelt entstehen.

Der überlebende Held - Alexej Petrowitsch Bykow - taucht dann wieder in dem Episodenroman Praktikanten von 1962 auf und erobert andere Teile des Sonnensystems (4).

Beide Bücher sind vergriffen. Bei Amazon wird der Atomvulkan Golkonda antiquarisch vermittelt.
 

 
Die abenteuerlichen und naturwissenschaftlich ausgerichteten Schwerpunkte verlassen die Strugatzkis bereits schrittweise mit "Der ferne Regenbogen" von 1963 (5). Ohne den Protagonisten Bykow beschreibt der Roman ein Forschungsprojekt auf dem fernen Planeten Regenbogen, das außer Kontrolle gerät und die Forscher und ihre Familien zu vernichten droht. Sie können aber nicht alle fliehen, weil dazu die Kapazität ihres Raumschiffs nicht ausreicht.

Der Roman ist 2002 bei Suhrkamp neu erschienen und bei Amazon antiquarisch verfügbar.

Den ersten Zyklus, den die drei Werke kennzeichnen, beschreibt Darko Suvin als noch immer ziemlich idyllisch (6). Recht hat er.
 

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Maxim Kammerer steht im Mittelpunkt von sechs Romanen, die - wie schon der Regenbogen - außerhalb unseres Sonnensystems spielen.

Den Anfang markiert die Novelle Fluchtversuch von 1962 (7). Mit ihm wenden sich die Strugatzkis, wie ein Jahr später mit "Der ferne Regenbogen", gegen eine unbedingte und unreflektierte Technikgläubigkeit (Alpers pp., S. 943), wobei sie auch die fatale Verknüpfung zwischen Technik und Sklaverei aufgreifen.

Im Westen bekannt wurden die Autoren mit "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" von 1964 (8), worin sie einen irdischen Agenten, Anton, auf einen Planeten mit mittelalterlichen Menschen versetzen und die Frage stellen, ob er das Recht zum Eingreifen hat. Sie stellen auch die Frage nach der Verantwortlichkeit des einzelnen gegenüber der Geschichte (Alpers pp., S. 942). Der Roman liefert den Kern für den Film Stalker von 1978/79.

Ähnlich stellt sich das Problem für Maxim Kammerer in "Die bewohnte Insel" (9). Auch er versucht eine unterdrückte Gesellschaft zu befreien, nur um schließlich festzustellen, dass er sich als Agent der Erde gegen ein von der Erde installiertes System wendet (Alpers pp., S. 942).

In "Ein Käfer im Ameisenhaufen" von 1979 variieren die Strugatzkis das Thema noch einmal und umkleiden es mit einer Kriminalgeschichte (10).

In "Der Junge aus der Hölle" versetzen uns die Autoren 1974 in eine Welt, in der die Menschen, trotz schier übermenschlicher Errungenschaften, Menschen geblieben sind. In sie gerät ein junger Mann, der auf seinem fernen Heimatplaneten für ein faschistisches Regime erzogen worden ist - und der nichts lieber will, als zurückzukehren in die Hölle, aus der er gerettet wurde. (11)
 

 
In ihren Romanen verwenden die Autoren immer häufiger den Begriff Progressor, mit dem sie ein Individuum bezeichnen, das in die Geschicke und Geschichte eines Alien-Volkes eingreift. Dies sind zunächst hadernde und Bedenken tragende irdische Vertreter und in den späteren Werken vermehrt Außerirdische, die sich in die weltlichen Prozesse einmischen.

Die Novelle "Die Wellen ersticken den Wind" von 1985 (11a) betrachtet wieder Maxim Kammerer, der sich und seine Umgebung einer biologischen und metaphysischen Weiterentwicklung ausgesetzt sieht. Das Thema ist den Autoren im Zusammenhang mit den "Häßlichen Schwänen" besser gelungen. Man muss diese Art der Metaphysik mögen, ich bin für sie wahrscheinlich zu materiell eingestellt und mag sie nicht. Die geradezu Phönix-artige Auferstehung des Schmetterlings aus seiner Puppe beschreibt die Vorstellung des kommunistisch-freien Menschen von dem Joch der Ausbeutung nicht schlecht. Das haben die Autoren wahrscheinlich satirisch (und erfolgreich) auf die Schippe nehmen wollen. Es ist schön, dass wir darüber philosophiert haben - das Lesen macht mir dennoch keinen Spaß.

Der "Fluchtversuch", "Es ist nicht leicht ...", "Der Junge aus der Hölle" und "Die Wellen ersticken den Wind" sind nur antiquarisch bei Amazon erhältlich.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Die Strugatzkis sind subtil und nicht einmal vorsichtig dabei. Ihre Sticheleien gegen die sie umgebende Herrschaft, die eine Fortentwicklung zur kommunistischen Freiheit propagiert, ist genial und sicherlich köstlich - für den, der wie sie in derselben Umgebung gesteckt hat. Für mich, der ich keine Pressionen befürchten musste, wirken die Befreiungsschläge der Autoren eher bemüht, langatmig und - mit Verlaub - langweilig. Nichts für ungut ...
 

 
 
 
 
 
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1965 entstanden zwei Romane, die sich mit dem Phantastisch-Märchenhaften befassen (Alpers pp., S. 943).

In "Montag beginnt am Samstag" stellen die Strugatzkis ein naturwissenschaftliches Institut für Zauberei und Wohlfahrt vor, in dem Fabelwesen, Idole, Gestalten des Märchens und Wunschträume der Kollektivphantasie materialisiert, ökonomisch nutzbar und damit zum Konsum geeignet gemacht werden (12).

In eine groteske und skurille Zukunftswelt sieht sich der Ich-Erzähler in "Die gierigen Dinge des Jahrhunderts" (ebenfalls 1965) versetzt, als er nach jahrelanger Arbeit im Weltraum zurück kehrt. Es gibt beunruhigende Anzeichen von irrationalen Akten, Geheimgesellschaften mit destruktiven Absichten, Ausbrüchen von Massenwahnsinn - und fortwährende Anspielungen auf ein geheimnisvolles Produkt, das nur durch die "richtigen Verbindungen" zu erhalten sei und höchste Lust verspreche. In diesem Buch rechnen (die Brüder Strugatzki) mit opportunistischem Spießbürgertum und satter Selbstzufriedenheit ab (13). Übrigens: der Erzähler zahlt mit Dollars.
 

 
Seltsame Dinge geschehen auch in der drückenden sommerlichen Hitze, die in "Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang" herrscht (erschienen 1976). Eine schöne junge Frau taucht auf und verschwindet spurlos; dann begeht einer der führenden Rüstungsforscher Selbstmord. Bei dem Biologen Waingarten taucht ein rothaariger Gnom auf, der das Ultimatum einer "Superzivilisation" überbringt, sofort alle Forschungsarbeiten einzustellen und alle Unterlagen zu vernichten (14). Am Ende bleibt die Frage offen, wie der zeitgenössische Mensch von 1976 mit seiner Umwelt umgeht und welche Zukunftsentscheidungen er trifft.

Bei allem Märchenhaften dieser drei Romane vermitteln sie auch tiefsinnige Gedanken und viel Schwermut in der russischen Seele. Sie erinnern ein wenig an Stanislaw Lem und das dürfte kein Zufall sein. Die Gedanken, die die Autoren äußern, hätten - gleichsam gefährlich - verstanden und missverstanden werden können. Dadurch, dass sie sie in surreale Umwelten verlegen, geben sie sich und ihren Protagonisten mehr Spielräume.

Alle drei Romane sind antiquarisch bei Amazon erhältlich.
 

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Ich bezeichne das 1968 erschienene Buch "Die Schnecke am Hang" als kafkaesk. Suvin sieht das anders (15): Der Roman ist eine legitime Fortsetzung der Gogolschen und Schtschedrinschen Ader in der russischen Literatur und der großen sowjetischen Tradition von Ilf-Petrow oder Olescha, an der Grenzlinie von SF und Satire wie in Majakowskis Spätstücken. Die Strugatzkis verschmelzen diese Überlieferung mit den von Swift, Kafka, Lem und der englischen phantastischen Literatur (Lewis Carroll etwa) gelieferten Anregungen, und damit bieten sie dem Leser ein brillantes Wortkunstwerk - eine Mimikry des Jargons der Bürokraten und der Gelehrten, der Ausdrucksweise der Spießer und der Fanatiker, Ironie und Parodie, Umgangssprache und Neologismen.

Das Buch ist antiquarisch bei Amazon erhältlich.
 

 
Mit dem "Picknick am Wegesrand" von 1972 betreiben die Autoren experimentelle Geschichtsforschung (16), sagt Lem über das Buch, das die Grundlage für den Spielfilm "Stalker" lieferte (17). Alpers pp. betrachten es als ein herausragendes Werk (18), das untypisch für die russische SF und ganz deutlich an die anglo-amerikanische angelehnt sei. Das mag stimmen, aber ich halte es eher für populistisch und versponnen.

Irgendwo in den USA existiert eine Zone, von der man vermutet, dass Außerirdische dort gelandet sind, doch ein Kontakt im eigentlichen Sinne hat nicht stattgefunden. Sie haben allerlei Unrat zurückgelassen, der für Menschen extrem gefährlich ist. Der Protagonist ist ein sogenannter Schatzsucher, der diese gefährlichen Gegenstände aus der Zone herausholt, was wiederum nur unter Lebensgefahr möglich ist. Weder die Gegenstände noch der Sinn des Besuchs werden am Ende des Romans erklärt (Alpers pp.). Lem vermutet eine Havarie.
 

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Ihre Gesellschaftskritik an dem sowjetischen Alltag kleiden die Autoren in ein absurdes Gewand. Den frühen Höhepunkt dieser Ausrichtung erreichen sie mit ihren Novellen "Die zweite Invasion der Marsianer" (1967) (19) und "Troika" (1968) (20).

Nach der Verlagsbeschreibung spielt die "Invasion" auf H.G. Wells an, was der deutsche Titel kaum zu verhüllen vermag. Die Invasion erfolgt unversehens, heimlich und schleichend, durch Flüsterpropaganda und eine Flut von Gerüchten geht der Mensch seiner Rolle als "Krone der Schöpfung" verlustig, aus rein opportunistischen Erwägungen läßt er sich die Herrschaft der "Marsianer" willig gefallen (21). Diese Form der schleichenden gesellschaftlichen Umformung lässt sich auf alle Gesellschaftsformen, totalitär oder nicht, und historische Prozesse übertragen. Man nennt sie auch "Salamitaktik": Von alten Gewohnheiten und Sitten wird immer wieder ein schmerzlos wirkender Teil entfernt, bis am Ende alle Beteiligten kaum bemerkt haben, dass sie einen ständigen Prozess der Umerziehung durchlaufen haben. Sie funktioniert viel zu häufig und wegen gesellschaftlicher Prozesse noch besser als bei der Umerziehung eines einzelnen Menschen (aber auch dort).

Die Troika ist bizarr, satirisch und witzig und variiert das Thema. Zwei Mitarbeiter des Instituts für Hexerei und Zauberkünste werden zur Kolonie für unerklärliche Erscheinungen entsandt. Dort geraten sie an eine Dreierkommission, eine Troika, die sich im Verlauf endloser Überprüfungsverfahren als unfähig erweist, die "unerklärlichen Erscheinungen" (darunter eine sprechende Wanze, ein Krake namens Spiridon und ein Pterodaktylus) zu verstehen und richtig einzuordnen. Alles, was nicht ins bürokratische Schema paßt, wird als unwissenschaftlich und volksfeindlich verboten oder ausgemerzt. Mit welcher Ignoranz, Beschränktheit und Umständlichkeit die Troika vorgeht, wird schonungslosem Gelächter preisgegeben. (22).

Der Verlagstext ist antistalinistisch gefärbt, aber das sind die Autoren auch. Das Cover nimmt diese Haltung wunderschön auf, indem drei Gesichter sich leicht verdeckend nebeneinander gereiht werden. Diese Art der sehr sowjetischen Darstellung kennt man mit den Ansichten von Marx, Engels, Lenin und Stalin und mit diversen Varianten. Nett.
 

 
"Die häßlichen Schwäne" stammen aus dem Jahr 1972 und wurden in der Sowjetunion nicht veröffentlicht, wohl aber 1982 bei Heyne (23) und später - vollständiger - bei Suhrkamp als zweiter Teil von "Das lahme Schicksal" (1986) (24).

"Das lahme Schicksal" beginnt mit der Geschichte von Felix Sorokin, einem Schriftsteller, der sich mit seinen Visionen aus seinem aus Furcht vor verständnislosen Literaturfunktionären und -kritikern nie veröffentlichten Roman konfrontiert sieht, also mit Prophezeiungen, die Gestalt annehmen.

Über "Die häßlichen Schwäne" berichtet der Klappentext: Es beginnt mit einem lästigen Augenleiden, dann folgen Hautausschläge, die ständig mit nassen Umschlägen behandelt werden müssen. "Naßmänner" nennt man deshalb die Erkrankten, sperrt sie in Leprosorien und riegelt sie hermetisch von der Außenwelt ab. Die Regierung schweigt und hält die Quarantäne aufrecht.

Die Bevölkerung soll nicht erfahren, um was genau es sich dabei handelt. Es ist nämlich keine Lepra, es ist ein Aussatz besonderer Art. Es sind Begleiterscheinungen einer Höherentwicklung des Menschen zum Homo superior. Aber auch wenn die Leute das nicht wissen, es genügt ihnen zu spüren, dass die "Naßmänner" anders sind. Und als die Kinder beginnen, merkwürdig fasziniert zu reagieren, und es zum Auszug kommt wie einst beim Rattenfänger von Hameln, werden die Eltern rebellisch und versuchen die Quarantänestation mit Gewalt zu stürmen.

Doch sie machen die bittere Erfahrung, daß die häßlichen jungen Schwäne, die sich einst zur zukünftigen Menschheit mausern werden, über ungeahnte Kräfte verfügen, die alle bisher geltenden Machtkonstellationen beiseite zu fegen in der Lage sind und denen ihre menschlichen Vorfahren nicht viel mehr bedeuten als denen die Affen.

Ich halte nicht viel von darwinistischen Expansionsvorstellungen, die zu häufig im Totalitärem und im Faschismus landen. Davon sind die Strugatzkis aber weit entfernt. Sie drohen den Verantwortlichen und den Mitläufern nur damit, dass sie unter der Herrschaft einer neuen Generation ausgedient haben werden. Das wiederum ist eine gute Perspektive.

Alle vier Bücher sind antiquarisch bei Amazon erhältlich.
 

 
 
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Bei den Erzählungsbänden weiß man nie, wann die einzelnen Texte entstanden sind.

Die Kurzgeschichten in dem Band "Mittag, 22. Jahrhundert" (25) ranken überwiegend um die Kosmonauten Sergei Kondratjew und Jewgeni Markowitsch Slawin, die nach langer Zeit im Weltraum in die brave neue Welt (26) des 22. Jahrhunderts zurückkehren. Der Titel ist genial. Die Geschichten sind eher idyllisch und technikgläubig, was im Anbetracht des Entstehens der Titelgeschichte (1962) und dem Erscheinen hier (1974/1977) nicht verwundert.

Das Buch ist antiquarisch bei Amazon erhältlich.

Die Geschichte vom "Knirps" erschien zuerst im Heyne Science Fiction Jahresband 1981 (27) und hat mich umgehauen. Der "Kleine", wie er später genannt wird ("Knirps" finde ich treffender), hat eine menschliche Gestalt und ist offenbar menschlicher Herkunft. Irgendetwas oder irgendwer - ein Prospektor - hat ihn aber verändert. Gar nicht 'mal böswillig, sondern um ihm überlebensfähig und neugierig zu machen. So trifft er als Einziger auf die, die ihn und seine Mitmenschen retten sollen.
 

 
Mit dieser Perspektive verlassen die Strugatzkis ihre Sticheleien gegen das sowjetische System und seinem aufstrebenden Menschentum. Auch an diesem Punkt möchte ich nicht falsch verstanden werden: Ihre Sticheleien sind böswillig, müssen aber nicht gänzlich böswillig gemeint sein. Der "Knirps" macht deutlich, dass es eine physikalisch-biologische Weiterentwicklung des Menschen geben könnte.

Während ich darüber nachdenke, wird mir die biologistische Perspektive der sowjetischen Kommunismusvorstellung immer deutlicher. Danke, liebe Strugatzkis, das möchte ich nicht!

Den gedanklichen Faden nimmt die "Dritte Zivilisation" wieder auf und versetzt Stas Popow in eine schwierige Situation (28): Er hört unheimliche Geräusche, sieht Phantome, zweifelt am eigenen Verstand, bis auch andere unerklärliche Vorgänge bemerken und schließlich ihr Urheber selbst auftaucht - der "Kleine", ein Menschenkind, das als einziger Überlebender eine vor Jahren abgestürzten Raumschiffes auf dem Planeten aufgezogen wurde. Von wem? Wer hat seinen Körper so grotesk deformiert und ihn mit Fähigkeiten ausgestattet, über die kein Mensch verfügen kann?

Das Buch ist antiquarisch bei Amazon erhältlich.
 

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Die "Stadt der Verdammten" ist der letzte Roman, den die Strugatzkis gemeinsam herausgegeben haben. Er entstand zwischen 1969 und 1975 und wurde (nach verschiedenen Quellen) aber erst 1987 oder 1989 veröffentlicht (29).

Die Autoren beschreiben das "Große Experiment", das an einem unbekannten und abgelegenen Ort mit Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, aus verschiedenen Epochen und mit unterschiedlichen Weltanschauungen durchgeführt wird. Es dient zur Suche nach der idealen menschlichen Gesellschaft. Seltsames geschieht in der Stadt: Tausende von Pavianen fallen ein, verwüsten alles; Menschen verschwinden ... Ein faschistischer Putsch beendet jäh das »Große Experiment«. Stadt der Verdammten ist die Geschichte vom fast unvermeidlichen Scheitern gesellschaftlicher Utopien, eine Parabel von hoher Aktualität. (30)

Das Buch ist antiquarisch bei Amazon erhältlich.
 

 
Mit ihren gemeinsamen Werken haben Arkadi und Boris Strugatzki immer meine Anerkennung, aber selten meine Begeisterung erregt. Die frühen, klassischen Weltraumabenteuer liefern solides erzählerische Handwerk. Ab "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" wurden ihre Werke zunehmend nachdenklicher und abnehmend euphorisch, später tiefgründig und - sehr russisch - traurig. Die versteckte System- und Gesellschaftskritik wird darin deutlich und es verwundert, dass nur zwei Werke nicht in der Sowjetunion erscheinen konnten.

Die Tiefe der Gedanken der Protagonisten ist etwas Besonderes. Viele Motive wiederholen sich aber auch.
 

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An "Die Suche nach der Vorherbestimmung" schrieb Boris Strugatzki 1993 und 1994. Der Roman wurde 1995 in Moskau unter dem Pseudonym "S. Wititzki" und leider erst 2004 bei Klett-Cotta veröffentlicht (31).

Die Hauptperson, Stanislaw Krasnogorow, erkennt, dass sie bereits 23-mal Lebensgefahren ausgesetzt war und jedes Mal auf unerklärliche Art überlebt hat. Er schreibt ein Buch darüber, für das sich zwar kein Verlag, wohl aber der KGB-Agent Wenjamin Krasnogorski interessiert. Dieser stellt fest: Beinahe alle Menschen, die in der fiktiven Welt des Romans auftauchen, sind in der Wirklichkeit auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen. Zufall oder Schicksal? (32)

Mich hat die Zeitreise begeistert, bei der Strugatzki seinen Helden die Zeit von der deutschen Belagerung St. Petersburgs bis in eine fiktive Zukunft Russlands nacherleben lässt. Seine Kindheitserinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg werden besonders feinfühlig, dicht und spannend geschildert, samt Kälte und noch mehr Kälte, zerborstenen Glasscheiben und Katzen, die man um des Überlebens Willen essen musste. Er erlebt die sowjetische Realität unter Stalin, Breshnew und schließlich die Perestroika sowie militärische Menschenversuche, geklonte Bestien und neue Reiche, die mit Sonderrechten durch ihr, jetzt kapitalistisches Russland jagen und es nach ihren Vorstellungen gestalten.

Das Buch ist einfach hervorragend, gespickt mit Zitaten und Andeutungen, die der Übersetzer liebevoll kommentiert hat, und ein Erlebnis besonderer Art.
  

 
"Die Ohnmächtigen" erschien 2003 in St. Petersburg und Moskau ebenfalls unter dem Pseudonym "S. Wititzki", 2007 bei Klett-Cotta (33).

Im Klappentext heißt es, der Roman sei eine verstörende Parabel über die Ohnmacht der Intellektuellen im postkommunistischen Russland. Das ist wohl richtig so.

Eine der Hauptpersonen ist der Meteorologe Wadim, der in der Lage ist, Massenentscheidungen, mithin auch Wahlergebnisse vorherzusehen. Er gehört zu einer Gruppe von Menschen mit anderen außergewöhnlichen Fähigkeiten. Ein rätselhafter Alter bringt Menschen mit einem einzigen Satz auf einen neuen Lebensweg, andere erkennen unfehlbar jede Lüge, haben das absolute Gedächtnis, können Menschen psychisch manipulieren, über Insekten gebieten oder mit bloßem Hass töten.

Die Geschichte ihres Lehrers, der diese Gaben in ihnen entdeckte, reicht zurück bis zu Menschenversuchen in der Stalinzeit. Als eine Politmafia Wadim erpressen will und verlangt, dass er mit seiner besonderen Gabe Einfluss auf das Ergebnis der in St. Petersburg anstehenden Gouverneurswahl nimmt, versuchen sie gemeinsam das Unheil abzuwenden. (Zitate aus dem Klappentext)

Boris Strugatzki ist in der Jetztzeit angekommen und ist ein spannender Erzähler geblieben.
 

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Was sind meine persönlichen Favoriten?

Da ist zunächst die Geschichte vom Knirps, die mich begeistert hat. Zu nennen ist auch der Atomvulkan Golkonda - solides SF-Handwerk mit russischer Exotik. Mit Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein haben Arkadi und Boris Strugatzki eine neue Perspektive in die SF gebracht, indem sie nach der moralischen und philosophischen Berechtigung zur Einflussnahme auf fremde Kulturen fragen. Eine ähnliche philosophische Tiefe hat (mir) seinerzeit nur Stanislaw Lem vermittelt, der jedoch eher den Standpunkt vertreten hat, dass es unmöglich ist, fremde Intelligenz zu erkennen, und noch mehr, mit ihr zu kommunizieren.

Trotz meiner Kritik: Die häßlichen Schwäne sind ein Leckerbissen gewesen und die Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang ebenfalls.
 

 
Restlos begeistert haben mich jedoch die beiden Spätwerke, die Boris Strugatzki allein geschrieben hat: Die Suche nach der Vorherbestimmung und Die Ohnmächtigen.

 

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(1) Arkadi und Boris Strugazki
(Schreibweise bei )

(1a) Ausnahme, aber auch nicht überwältigend: die bibliothek strugatzki

(2) Alpers, Fuchs, Hahn, Jeschke, Lexikon der Science Fiction Literatur, Heyne, Neuausgabe 1987, S. 942

(3) Cover der Ausgabe bei Heyne von 1974

(4) Cover der Ausgabe im Aufbau Taschenbuch Verlag 1994

(5) Cover der Ausgabe bei Heyne von 1976

(6) Darko Suvin, Nachwort zu Strugatzki, Die Schnecke am Hang, Suhrkamp 1978, S. 255.
Er ist der Autor einer faszinierenden Analyse zur Poetik der Sience Fiction (Suhrkamp 1979; antiquarische Angebote bei Amazon), in der er diese Literaturgattung von der phantastischen im übrigen dadurch abgrenzt, dass sie erkenntnisbezogen ist. Er spricht insoweit von der erkenntnisbezogenen Verfremdung.

(7) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1983

(8) Cover der Ausgabe bei Heyne von 1973

(9) martialisches Cover der Ausgabe bei Ullstein von 1982;
Bestellung bei (Neuerscheinung 2008 bei Suhrkamp)

(10) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1985

(11) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1990, aus dem Klappentext.

(11a) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1988

(12) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1982, aus dem Klappentext.

(13) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1982, aus dem Klappentext.

(14) Cover der Ausgabe bei Heyne 1981, aus dem Klappentext.

(15) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1978. Suvin-Zitat: ebenda, S. 276 f.
 

 
(16) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1981. Lem-Zitat: ebenda, S. 201.
Siehe auch Picknick am Wegesrand.
Bestellung bei (Neuerscheinung 2008 bei Suhrkamp).

(17) Stalker (Film)

(18) siehe Anm. 2, S. 943.

(19) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1984. Diese Ausgabe enthält auch die "Troika".

(20) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1993

(21) Verlagstext zu "Die zweite Invasion der Marsianer", 1984

(22) Verlagstext zu "Troika", 1993. Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1993. Zitat aus dem Innentext.

(23) Cover der Ausgabe bei Heyne 1982

(24) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1991. Das nachfolgende Zitat stammt vom Verlag.

(25) Cover der Ausgabe bei Knaur 1977

(26) Tin Lizzy wurde 100

(27) Cover des Originals von 1981;
nicht erhältlich.

(28) Cover der Ausgabe bei Suhrkamp 1993. Zitat aus dem Innentext.

(29) Cover der Ausgabe bei Ullstein 1995;
Inhaltswiedergabe

(30) Innentext

(31) Cover der dt. Erstausgabe bei Klett-Cotta 2004;
Bestellung bei

(32) Zitat aus der Produktbeschreibung bei Amazon.

(32) Cover der dt. Erstausgabe bei Klett-Cotta 2007;
Bestellung bei
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018