Web Cyberfahnder
  Cybercrime    Ermittlungen    TK & Internet    Literatur    intern    Impressum 
Februar 2011
23.02.2011 Ausfallsicherheit
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift fragile Netze
  Studie über die Leistungsfähigkeit von Netzen bei Teilausfällen.

 
Man bräuchte nur 5,5 Prozent aller Verbindungen zu verändern, also etwa jede zwanzigste, um die Robustheit des Internet-Backbone um 55 Prozent und die Ausfallsicherheit des Stromnetzes um 45 Prozent zu steigern. ...

Schneider hat sogar konkrete Tipps parat: "Die ersten beiden Links, die man verändern muss, um 15 Prozent robuster zu sein, sind in Norditalien an der Schweizer Grenze." Ebenfalls oben auf der Effizienzskala liegen Verbindungen zwischen Deutschland und Polen und in Frankreich. (1)
 

11-02-46 
Das robusteste Netz mit der höchsten Ausfallsicherheit würde über Knoten verfügen, von denen jeder mit allen anderen Knoten verbunden ist. Es ist nicht realisierbar. Das unsicherste Netz bildet dagegen die sternförmige Architektur. Fällt ihr zentraler Knoten aus, dann bricht das ganze Netz zusammen.

Ausgehend von solchen einfach anmutenden Aussagen hat ein internationales Forscherteam für die US-Akademie der Wissenschaften - PNAS - die Ausfallsicherheit von Stromnetzen und die internationalen Internet-Backbones untersucht (1). Dazu haben sie nicht nur betrachtet, was beim Ausfall eines einzelnen Knotens geschieht, sondern auch, wie viele Knotenausfälle vom Netz verkraftet werden können, bis es insgesamt ausfällt.

Nach ihren Berechnungen sind das europäische Stromnetz und der internationale Internet-Backbone fragile Konstruktionen. Es würde reichen, 10 Prozent der Kraftwerke abzuschalten und 12 Prozent der Internetknoten, um die Netze insgesamt kollabieren zu lassen. Im Vergleich dazu ist das internationale Flugverkehrsnetz, auf das die Methoden gleichermaßen angewendet werden können, erheblich stabiler.

Die Studie ist kostenpflichtig und ich habe sie nicht gekauft. Deshalb kann ich den Wert der Aussagen nur oberflächlich abschätzen.

Die Leistungsfähigkeit von Netzen hängt von ihrem Lastverhalten ab. Das sind bei Kabelnetzen die physikalische Bandbreite der Verbindungen und die Verarbeitungskapazität ihrer Knoten. Auf den Flugverkehr übertragen bedeutet das zum Beispiel: Eine Propellermaschine fliegt langsamer und kann nur weniger Menschen transportieren als ein Düsenjet (Bandbreite). Der kann aber nicht überall landen und starten (Knotenkapazität).
 

 
Die Frage nach der Robustheit von Netzen setzt voraus, dass beim Ausfall einer Strecke oder eines Knotens deren Aufgaben von anderen Netzkomponenten übernommen und ersetzt werden können. Das gelingt aber nur in Grenzen und hängt davon ab, wie viel Mehrlast die Knoten und Strecken vertragen. Ein leistungsfähiger Flughafen wie der in Frankfurt am Main wird einen Teil der Abfertigungskapazität von Schiphol (Amsterdam) übernehmen, ihn aber nicht ersetzen können.

Dass die Lastgrenzen schnell erreicht sein können, zeigten die vier gleichzeitigen Kabelausfälle im Nahen Osten Anfang 2008 (2). In ihrer Folge waren die Callcenter in Ägypten nur begrenzt erreichbar und die Betreiber in Indien mussten ihre Datendienste für Europa auf dem Umweg über den Pazifik, den USA und über den Atlantik leiten (3).

Schon Ende 2006 kollabierte das europäische Stromnetz für zwei Stunden (4), weil eine einzige Hochspannungsleitung über der Ems planmäßig vom Netz genommen wurde. Am 04.11.2006 schalteten sich wegen Überlastungen binnen 15 Sekunden 14 Schaltstellen des E.ON-Netzes zwischen Niedersachsen und Bayern ab. Die Auswirkungen davon wurden nicht nur in den Nachbarstaaten spürbar, sondern bis nach Kroatien und Nordafrika (5).
 

zurück zum Verweis Optimierung der Topographie

 


"Netzlast", Kissamos, Kreta

 
Am 27.08.2010 testete die europäische Namensraumverwaltung (6), RIPE, eine neue Version des Protokolls, mit dem sich Netzknoten untereinander verständigen (7). Ein Fehler im Betriebssystem der Cisco-Router führte für eine halbe Stunde zum Ausfall von 1 Prozent des Internets. Das mag kein besonders schwerwiegender Ausfall gewesen sein, zeigt aber die Anfälligkeit des Gesamtsystems bei der Störung nur eines der maßgeblichen Knoten.

Diese Beispiele widersprechen der Robustheits-Studie nicht, sondern belegen nur die Anfälligkeiten, mit denen Strom- und Kommunikationsnetze im Zusammenhang mit einfachen Ausfällen und Störungen rechnen müssen. Die Umverteilung von Lasten in solchen Fällen ist eine vernünftige Strategie, die leicht ihre Kapazitätsgrenzen auch an den Umleitungsstrecken erreichen kann.

Die angeführten Beispiele zeigen, dass bereits leichte Störungen zu kaskadierenden Folgen führen können. Ob diese Effekte hinreichend berücksichtigt wurden, ergibt sich aus der Meldung jedenfalls nicht.

Dennoch ist der Rat der Forscher richtig und beachtlich, Netze ohne unbezahlbare Kapazitätsausbauten einfach nur wegen ihrer Topographie zu betrachten und zu optimieren. Auch das erfordert an der einen oder anderen Stelle Aufrüstung, nicht aber zwingend mehr Knoten und Verbindungen.
 

 
Ob diese Sichtweise wirklich bei den Verantwortlichen für die Kommunikationsnetze ankommt, ist fraglich. Sie verlangt danach, die einfache Technik und Physik der Netze nach ihren Kapazitäten und Ausweichstrecken im Falle einer Störung zu befragen. Solche "einfachen" Fragen werden vielfach verdrängt und an ihrer Stelle die Protokollsicherheit an den Knoten diskutiert, um Tunnel-Techniken (8) - VPN (9), MPLS (10) - zu optimieren.

Das ist vergleichbar mit einer Diskussion über die Wirksamkeit von Wegfahrsperren in Autos ohne auch das Tankvolumen, den Verbrauch und die Straßeneignung zu betrachten.

Jedenfalls in Deutschland gibt es kaum redundante Verbindungsnetze, was sich angesichts der Netzabhängigkeit bei Kritischen Infrastrukturen (11) schnell rächen könnte.
 

zurück zum Verweis Anmerkungen
 


(1) Matthias Gräbner, Standhaftere Netzwerke, Telepolis 23.02.2011

(2) 4 Seekabel im Nahen Osten gestört, 05.02.2008

(3) Siehe auch: internationales Kabelnetz, 08.07.2010

(4) Große historische Stromausfälle, freenet Lexikon; siehe auch Stromnetze, 22.02.2011 (Nachweise).

(5) Siehe: Bericht der BNA über die Systemstörung im deutschen und europäischen Verbundsystem am 4. November 2006, BNA 26.02.2007; Grafik: S. 9.
 

 
(6) Siehe zur Organisation der internationalen Netzverwaltung: Zentralismus und Regionalisierung, 18.07.2010.

(7) Cisco-Kaskade, 04.09.2010

(8) Verschlüsselung. Tunnelung, 30.03.2008

(9) Overlay-Netze und VPN, 30.03.2008

(10) bundesweites Verbindungsnetz, 07.02.2011

(11) Schutz Kritischer Infrastrukturen, 13.02.2011;
Grundversorgung als Kritische Infrastruktur, 06.02.2011.
 

zurück zum Verweis Cyberfahnder
© Dieter Kochheim, 11.03.2018