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Juni 2011
15.06.2011 Rechtsprechung
     
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Seit April sind die spektakulären Gerichtsentscheidungen ausgeblieben. Dieser Rechtsprechungsreport enthält jedoch einige Leckerbissen, die von bleibender Bedeutung sein werden.

Das gilt zunächst für ein zeitgeschichtliches Juwel. Das Landgericht Düsseldorf hat einen jungen Mann verurteilt, der die Cybercrime in allen aktuellen Spielarten praktiziert hat. So gut verdient wie die Betreiber von "kino.ko" hat er jedoch nicht.

Auch andere Kriminalitätsfelder sind hochkarätig besetzt. Das LKA Bayern hat im Mai 8 Leute festgenommen, die mit betrügerischen Webshops 100.000 Menschen um mehrere Millionen Euro geprellt haben sollen (1). Andere bildeten eine Kriminelle Vereinigung beim Streaming rechtsradikalen Liedguts.
 

 
Cybercrime in allen Spielarten
Streaming. Kriminelle Vereinigung
Glückspiel im Internet
Skimming als Vorbereitungshandlung
PhotoShop und Urkunde
 
BVerfG: Direkte Auskunft über Bestandsdaten
kriminalistische List oder Verdeckter Ermittler?
private Hörfalle
 

Die PKS für 2010 weist einen deutlichen Anstieg der Internetkriminalität aus. Das BKA ergänzt sie um Zahlen, die allein das Skimming betreffen (2). 2010 sollen die Daten von rund 190.000 Bankkunden abgegriffen und dadurch ein Schaden von rund 60 Millionen Euro entstanden sein.
Skimming bleibt auch ein Thema für die Rechtsprechung: Skimming als Vorbereitungshandlung.

Das Strafverfahrensrecht ist mit den Themen Bestandsdatenauskunft,
kriminalistische List und Hörfalle vertreten.


(1) Betrug im Internet: Polizei hebt Bande aus, 17.05.2011

(2) Betrüger spähten gut 200.000 Geheimnummern aus, spiegel.de 10.05.2011;
Skimming: Zahl der Betrugsfälle steigt um 50 Prozent, Heise online 10.05.2011.
 

zurück zum Verweis Cybercrime in allen Spielarten

 

 
Von zeitgeschichtlicher Bedeutung ist das Urteil des LG Düsseldorf vom 22. März 2011 gegen "Klaus Störtebeker", so der Alias des Täters (1). Wer noch Zweifel an der Existenz der Cybercrime hatte, wird hier eines Besseren belehrt:

Cyber-Kriminelle nutzen alle Möglichkeiten der Verschleierung und Tarnung,

sind in Deutschland aufgewachsen und hier tätig,

führen DDoS-Angriffe mit Botnetzen aus und

drohen mit DDoS-Angriffen, um Schutzgeld zu erpressen,

verlangen zur Verschleierung der Beutesicherung digitale Bons (Voucher) (2) und

lassen deren Wert auf Kreditkarten auf Guthabenbasis übertragen,

um dann die Beute am nächsten Geldautomaten abzuholen.

Der geständige Angeklagte hat mehrere Erpressungen und DDoS-Angriffe durchgeführt und sich dazu auf die Webseiten mehrerer Pferdewetten-Anbieter konzentriert. Das LG Düsseldorf hat ihn deshalb wegen gewerbsmäßiger Erpressung in Tateinheit mit Computersabotage zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Beachtlich ist, dass das Gericht sowohl wegen der Erpressungen ( § 253 StGB) wie auch wegen der Computersabotagen ( § 303b StGB) von gewerbsmäßigem Handeln ausgegangen ist ( §§ 253 Abs. 4, 303b Abs. 4 Nr. 2. StGB). Das sind keine Bagatellen mehr, die zur Nachsicht Anlass geben könnten.

Der Täter scheint ein typischer Vertreter der hiesigen Cybercrime-Szene zu sein: Junger Erwachsener, der dem Jugendrichter gerade entwachsen und mit allen Finessen vertraut ist, die in der Carding- und Hacking-Szene diskutiert und propagiert werden.

Das Urteil zeigt auch, dass bei allen Lücken (3), die das Cyberstrafrecht aufweist (4), angemessene Reaktionen auf die Cybercrime in Deutschland möglich sind. Die Instrumente, die jetzt von den Justizministern im Rat der Europäischen Union vorgeschlagen wurden (5), liefern auf dem ersten Blick nichts Neues, das schmerzhaft fehlen würde.


(1) LG Düsseldorf, Urteil vom 22.03.2011 - 3 KLs 1/11

(2) Konvergenz auf dem Schwarzmarkt, 25.11.2010;
graue Bezahlsysteme, 08.12.2010.

(3) Besonders fehlt ein Tatbestand gegen die Datenhehlerei. Das System der strafbaren Vorbereitungshandlungen ist teilweise unausgegoren ( § 263a Abs. 3 StGB beschränkt sich auf Computerprogramme und umfasst nicht auch die Hardware) und vor allem wegen des Funkschutzes unvollständig.

(4) Übersicht: Skimming im Cybercrime-Strafrecht, 22.08.2010

(5) EU-Minister wollen Rahmenbeschluss gegen Cyberkriminalität erweitern, Heise online 14.06.2011
 

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15.06.2011 
Die Angeklagten haben systematisch auf Streaming-Plattformen (Internet-Radio) rechtsradikale Musik gesendet. Sie wurden deshalb u.a. wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ( § 129 StGB) verurteilt (1). Der BGH verfeinert aus diesem Anlass seine Rechtsprechung zu dem Organisationsdelikt und passt sie der zur Bande an:

<15> a) Schließen sich mehrere Täter zu einer kriminellen Vereinigung zusammen, hat dies - entsprechend den bei einem Zusammenschluss als Bande geltenden Grundsätzen - nicht zur Folge, dass jede von einem Vereinigungsmitglied begangene Tat den anderen Mitgliedern ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Mitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juli 2008 - 3 StR 243/08 ...; vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03 ...)

<16> b) Haben bei einer durch mehrere Personen begangenen Deliktsserie einzelne Angeklagte einen Tatbeitrag zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer auf die Begehung von Straftaten ausgerichteten Infrastruktur erbracht, sind die Einzeltaten der Mittäter zu einem uneigentlichen Organisationsdelikt zusammenzufassen, durch welches mehrere Einzelhandlungen rechtlich verbunden und hiermit die auf Grundlage dieser Infrastruktur begangenen Straftaten in der Person der im Hintergrund Tätigen zu einer einheitlichen Tat oder gegebenenfalls zu wenigen einheitlichen Taten im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden ( BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03 ...; Beschluss vom 21. Dezember 1995 - 5 StR 392/95, NStZ 1996, 296 f. <Leitsätze ohne Aussagewert>; Beschluss vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03 ...).

<17> c) Die im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen Taten stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit, da die mitgliedschaftliche Beteiligung in einer solchen Vereinigung zu deren Verklammerung führt. Voraussetzung für eine solche Klammerwirkung ist, dass die Ausführungshandlungen zweier oder mehrerer an sich selbstständiger Delikte zwar nicht miteinander, wohl aber mit der Ausführungshandlung eines dritten Tatbestandes (teil)identisch sind und dass zwischen wenigstens einem der beiden an sich selbstständigen Delikte und dem sie verbindenden, sich über einen gewissen Zeitraum hinziehenden (Dauer-) Delikt zumindest annähernde Wertgleichheit besteht ( BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 3 StR 203/08 ...). Als Maßstab hierfür dient die Abstufung der einzelnen Delikte nach ihrem Unrechtsgehalt unter Orientierung an den Strafrahmen, wobei der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierenden Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen ist (BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 2 StR 322/84, BGHSt 33, 4, 6 f. ...).


(1) BGH, Beschluss vom 19.04.2011 - 3 StR 230/10, Rn 14
 

zurück zum Verweis Glückspiel im Internet

 

15.06.2011 
Ohne eine abschließende Klärung der Rechtslage abzuwarten hat der Angeklagte ein einsatzpflichtiges "Quiz" im Internet veranstaltet und dazu eine ihm gehörende Doppelhaushälfte (und andere Sachgewinne) ausgelobt. Mindestens 18.294 Spieler beteiligten sich und zahlten jeweils mindestens 19 € ein. Die höchste Einzelüberweisung an den Angeklagten lag bei 190 €; darüber hinaus zahlten einzelne Spieler in mehreren Überweisungen bis zu 874 € für ihre Spielteilnahme. Insgesamt erlangte der Angeklagte hierdurch 404.833 €. Hiervon zahlte er nicht mehr als 4.833 € an einige der Spielteilnehmer zurück. Den Restbetrag verbrauchte er für eigene Zwecke.

Die Glücksspielaufsichtsbehörde untersagte die Veranstaltung im Januar 2009. Nachdem auch das zuständige Verwaltungsgericht im Februar die Behörde bestätigte, stoppte der Angeklagte die Veranstaltung. Eine Preisverleihung fand dann nicht mehr statt.

Der BGH bestätigte die Verurteilung des Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren (1). Das angefochtene Urteil ließ keine sichere Unterscheidung zwischen Glückspiel und Geschicklichkeitsspiel ("Quiz") zu. Zum Fallstrick wurde dem Angeklagten aber, dass er wider besseren Wissens mehrfach bei der Werbung behauptete, dass das Spiel geprüft und rechtlich einwandfrei sei. Der humorlose BGH betrachtet das als Betrug im Sinne von § 263 StGB.


(1) BGH, Beschluss vom 15.03.2011 - 1 StR 529/10
 

zurück zum Verweis Skimming als Vorbereitungshandlung

 
Das bloße Anbringen einer Skimming-Apparatur an einem Geldautomaten in der Absicht, durch diese Daten zu erlangen, die später zur Herstellung von Kartendubletten verwendet werden sollen, stellt demgegenüber lediglich eine Vorbereitungshandlung zur Fälschung von Zahlungskarten dar (4).
 

 
Die grundsätzliche Strafbarkeit der Cashing-Täter beim Skimming, also beim abschließenden Einsatz von Dubletten an Geldautomaten im Ausland, als gewerbs- und bandenmäßiges Fälschen von Zahlungskarten mit Garantiefunktion gemäß § 152b Abs. 2 StGB steht inzwischen außer Frage. Wie bereits gewohnt lässt der BGH entsprechende Verurteilungen wortlos passieren (1).

Mit dem Urteil vom 27.01.2011 hat der BGH einen wichtigen Schlussstrich unter die Frage gezogen, in welchem Handlungsstadium der Versuch des Fälschens von Zahlungskarten beginnt (2). Danach ist das reine Ausspähen der Zahlungskartendaten an hiesigen Geldautomaten noch im Vorbereitungsstadium angesiedelt. Zum Versuch des Fälschens setzen die Täter hingegen erst an, wenn sie mit dem Fälschen selber beginnen. In arbeitsteiligen Täterstrukturen kann das frühestens der Fall sein, nachdem die "Abgreifer" das Ausspähen beendet und die dabei gewonnenen Daten gesichert haben und sie an die sozusagen bereits wartenden "Nachtäter" weiter leiten (3). Der BGH spricht insoweit von einem gleichsam ... automatisierten Ablauf <Rn 8>.

Das bestätigt eine neue Entscheidung, die ganz deutlich ausspricht, dass der Einsatz der Skimming-Apparaturen noch im Vorbereitungsstadium angesiedelt ist (4). Sie geht auch auf eine weitere, noch nicht in allen Einzelheiten geklärte Frage ein:

Das Fälschen von Zahlungskarten mit Garantiefunktion ist ein Verbrechen, so dass sich auch die im Vorbereitungsstadium zuarbeitenden Mittäter an einer Verbrechensabrede im Sinne von § 30 Abs. 2 StGB beteiligen können. Dabei kommt es darauf an, wie viele konkurrenz-rechtlich selbstständige Tathandlungen der Täter begangen hat; denn die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses zwischen verschiedenen Straftaten richtet sich - auch bei der Mitwirkung mehrerer Tatbeteiligter - für jeden Beteiligten allein danach, welche Tathandlungen er im Hinblick auf die jeweilige Tat vorgenommen hat; dies gilt unabhängig davon, ob die einzelne Tat nur verabredet, versucht oder vollendet worden ist, und in welcher Form der jeweilige Tatbeteiligte an ihr mitgewirkt hat <Rn 7>.

Dazu müssen die Handlungen jedes einzelnen Täters gewürdigt werden, also vor allem, wie die Skimming-Geräte eingesetzt wurden, wo und wie häufig. Die rechtliche Würdigung im Einzelfall ist schwierig, weil auch betrachtet werden muss, was der gemeinsame Tatplan wegen der "Nachtäter" vorgesehen hat. Sollten das Fälschen und das Cashing sozusagen "in einem Rutsch" erfolgen, ist eine umfassende deliktische Einheit anzunehmen (5), die das abschließende Tatgeschehen zu einer materiellen Tat zusammen fasst. Mehrere Handlungen des Vorbereitungstäters, zum Beispiel Angriffe gegen mehrere Geldautomaten, worauf die abgegriffenen Daten dann zusammen geführt werden, würden auch bei ihm nur zu einer materiellen Tat führen (6).

Die praktischen Auswirkungen dieser streng erscheinenden Anforderungen an die Spruchpraxis sind noch unklar. Wenn die Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind, dann gilt der Zweifelsgrundsatz (7) und in seiner Folge die großzügige Annahme deliktischer Einheiten (8). Für die Zwischenzeit ist zu empfehlen, möglichst genaue Feststellungen über das Handlungsunrecht jedes einzelnen Angeklagten zu treffen. Das Leitbild, das der BGH zu arbeitsteiligen Skimmingtätern entworfen hat, lässt nur wenig Raum für durchgreifende Zweifel (9) und nimmt die Täter hart ran.


(1) BGH, Beschluss vom 12.05.2011 - 3 StR 101/11

(2) Versuch der Fälschung, 21.02.2011

(3) BGH, Urteil vom 27.01.2011 - 4 StR 338/10

(4) BGH, Beschluss vom 15.03.2011 - 3 StR 15/11, Rn 6

(5) Angleichung des Rechts beim Falschgeld und Rauschgift, 13.03.2011

(6) BGH, Urteil vom 13.01.2010 - 2 StR 439/09, Rn 14

(7) Beispiel gebend: BGH, ebenda (6), Rn 13.

(8) Ebenda (5).

(9)  Skimming und Mittäterschaft, 03.04.2011;
BGH, Urteil vom 17.02.2011 - 3 StR 419/10, Rn 4.
 

zurück zum Verweis PhotoShop und Urkunde

 
Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der Aufhebung, da es nicht den Mindestanforderungen genügt, die an die Urteilsgründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verfahrensabsprache ergangen ist. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist. (1)
 

 
Der gewohnte Trick ist einmal wieder gelungen. Zunächst holt die Verteidigung alles Entgegenkommen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts heraus und man trifft eine Verfahrensabrede (2). Der Angeklagte räumt die Vorwürfe möglichst wortlos ein und nach knapper Hauptverhandlung wird er zur zugesagten Höchststrafe oder unterhalb von ihr bestraft. Für einen Rechtsmittelverzicht besteht ein Protokollierungsverbot ( § 302 Abs. 1 S. 2 StPO). Statt dessen legt der Angeklagte ein Rechtsmittel ein und das Gericht muss aus dem dürftigen Inhalt der Beweisaufnahme ein Urteil schnitzen, das den gehobenen Anforderungen des BGH genügt. Das geht planmäßig schief.

In der neuen Hauptverhandlung kommt dem wortbrechenden Angeklagten dann das Verschlechterungsverbot zu Gute ( § 331 Abs. 1 StPO).

Die unvermeidbare Zurechtweisung des BGH führt uns in die Tiefen des Urkundenrechts ( § 267 StGB). Eine Urkunde ist nach üblicher Definition eine verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und einen Aussteller erkennen lässt. Mit anderen Worten: "Ich", also der Aussteller, habe etwas wahrgenommen (Bericht, Gutachten), verspreche etwas (Zahlungsversprechen, Anweisung, Testament) oder unterwerfe mich dem Recht eines anderen (Schuldanerkenntnis, Rechtsfolgenvereinbarung). Ungeachtet der Richtigkeit oder des vorausgegangenen Geschehens gilt der erste Anschein zugunsten des urkundlichen Inhalts. Keine falsche Urkunde nach deutschem Rechts ist die schriftliche Lüge, in der der Aussteller Falsches erklärt.

Ein langer Findungsprozess begleitet die fotografischen und digitalen Abbildungen von Urkunden. Schon 1971 hat der BGH getitelt: Fotokopien sind grundsätzlich keine Urkunden im Sinne des § 267 StGB (3).

Im aktuellen Fall hat der Angeklagte Handyverträge vermittelt und dazu dem Mobilnetzbetreiber Scheinverträge vorgespiegelt, indem er Vertragspartner erfand und für ihre Legende mit einem Bildbearbeitungsprogramm echt aussehende Personalpapiere und Zahlungskarten gestaltete, deren Ausdruck er dem Unternehmen vorlegte, um die Authentizität der abgeschlossenen Verträge zu belegen. Damit bekam er die begehrten Handys und Provisionen und konnte die Geräte anderweitig verscherbeln.

Der BGH sieht zwar die unter falschem Namen und mit gefälschten Unterschriften ausgestellten Verträge als falsche Urkunden an, nicht aber die (in meinen Worten) "gephotoshopten" Ausweispapiere:

Durch die Ausdrucke von Bilddateien eines Personalausweises unter manipulativer Änderung von Personaldaten und Lichtbild sind weder unechte oder verfälschte Urkunden hergestellt worden, noch hat der Angeklagte solche Urkunden gebraucht, indem er die Ausdrucke verwendete, um vorzutäuschen, dass von den fiktiven Kunden Personaldokumente vorgelegen hätten.

Urkunden im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen. Einer bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber kein Urkundencharakter beizumessen (...). Zwar kann im Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente grundsätzlich eine (unechte) Urkunde hergestellt werden. Dafür muss die Reproduktion jedoch einer Originalurkunde so ähnlich sein, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (...). Daran fehlt es hier. Die Ausdrucke der Computerdatei des gescannten Personalausweises wiesen nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen Originalausweis prägen. Sie sollten nach ihrem Dokumentationszweck wie Kopien verwendet werden und spiegelten erkennbar lediglich ein Abbild eines Personalausweises wider.

Da der von den Ausdrucken der Computerdatei jeweils abgebildete Personalausweis tatsächlich nicht existierte und diesbezüglich somit zu keinem Zeitpunkt eine falsche Urkunde vorgelegen hat, erfüllt die Verwendung dieser Ausdrucke auch nicht den Tatbestand der Urkundenfälschung in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (...)


(1) BGH, Beschluss vom 09.03.2011 - 2 StR 428/10, Rn 3

(2) Grenzen der Verständigung, 03.04.2011

(3) BGH, Urteil vom 11.05.1971 - 1 StR 387/70
 

zurück zum Verweis BVerfG: Direkte Auskunft über Bestandsdaten

 
§ 161 Abs. 1 StPO stellt als Ermittlungsgeneralklausel die Ermächtigungsgrundlage für Ermittlungen jeder Art dar, die nicht mit einem erheblichen Grundrechtseingriff verbunden sind und daher keiner speziellen Eingriffsermächtigung bedürfen. Sie ermächtigt die Staatsanwaltschaft zu den erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen, die weniger intensiv in Grundrechte des Bürgers eingreifen (...). Die Staatsanwaltschaft kann auf dieser Grundlage in freier Gestaltung des Ermittlungsverfahrens die erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung von Straftaten ergreifen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 1995 - 2 BvR 103/92 ...). § 161 Abs. 1 StPO bildet auch die Rechtsgrundlage für die allgemeine Erhebung personenbezogener Daten (...) und damit für eine Ermittlungsanfrage der Staatsanwaltschaft gegenüber privaten Stellen wie den hier betroffenen Kreditkartenunternehmen. (1)
 

15.06.2011 
Während das BMJ mit einem ungeeigneten Gesetzentwurf die Öffentlichkeit erfreut (2) hat das BVerfG mit bemerkenswerter Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die beim Provider gespeicherten Verkehrsdaten dann nicht mehr dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, sobald der Empfänger die an ihn gerichtete Nachricht empfangen hat (3).

Demgegenüber unterfallen solche Verbindungsdaten, die nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs beim Telekommunikationsteilnehmer aufgezeichnet und gespeichert werden, nicht dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG, sondern werden durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ( Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützt (...). Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses endet in dem Moment, in dem die Nachricht bei dem Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet ist. (3)

Auch unter Berücksichtigung der im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung aufgestellten Grundsätze ( BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 ...) lässt sich nicht sagen, dass die Herausgabe einer einzelnen IP-Adresse losgelöst von den angesprochenen Fragen in jedem Fall einen derart schwerwiegenden Eingriff in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG darstellen würde, dass eine auf die allgemeine Ermittlungsgeneralklausel des § 161 Abs. 1 StPO gestützte Auskunftserteilung in jedem Fall unzulässig wäre (zur Reichweite des § 161 Abs. 1 StPO vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2009 - 2 BvR 1372/07, 2 BvR 1745/07 ...). (4)

Das hat zur Folge, dass einfache Bestandsdatenauskünfte - auch wenn der Provider wegen dynamischer IP-Adressen auf Verbindungs- oder Vorratsdaten zurückgreifen muss - allein aufgrund der allgemeinen Ermittlungsermächtigung der Staatsanwaltschaft und der Polizei (5) aus § 161 Abs. 1 StPO gegeben werden müssen. Entsprechende Verfassungsbeschwerden gegen die Verhängung von Bußgeldern wegen Auskunftsverweigerung hat das Gericht abgewiesen.

Bereits in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung (6) hat das BVerfG erklärt, dass die Bestandsdatenabfrage kein Eingriff von besonderer Tiefe ist, so dass für sie keine Beschränkungen in der Form eines Straftatenkatalogs erforderlich sind. Das hebt das Gericht jetzt noch einmal hervor und verweist besonders auf seine Entscheidung zum staatsanwaltschaftlichen Auskunftsersuchen (7). Darin grenzt es die spezifizierte Auskunft gegen Kreditkartenunternehmen gegenüber der Rasterfahndung gemäß § 98a StPO ab, bei der immer mehrere Datenquellen miteinander verglichen werden, um aus einer Vielzahl von personenbezogenen Daten die Verdächtigen einzugrenzen.

Darin unterscheidet sich die Datenabfrage: Sie bestimmt genaue Kriterien, nach denen die Auskunftspersonen ihre eigenen Datenbestände durchsuchen sollen. Im Ergebnis bekommt die Strafverfolgung dadurch nur die personenbezogenen Daten, auf die die Kriterien zutreffen. Dadurch gelangt die Strafverfolgung zu keinen überschießenden Daten von Unverdächtigen.

Nichts anderes gilt für die Bestandsdatenabfrage unter Rückgriff auf Verkehrsdaten. Den Abgleich muss der Provider selber vornehmen und am Ende bekommt die Strafverfolgung keine Auskunft über Verkehrsdaten, sondern nur über die Person, für die ein bestimmtes, einzelnes  Verkehrsdatum bereits bekannt ist.

Dem Besserwisser sei es gestattet, darauf hinzuweisen, dass das BVerfG immer noch den nicht mehr einschlägigen Begriff der " Verbindungsdaten" verwendet. Zutreffend müsste es von Verkehrsdaten sprechen.


(1) BVerfG, Beschluss vom 17.02.2009 - 2 BvR 1372/07, Rn 26

(2) 7-Tage-Regelung, 11.06.2011

(3) BVerfG, Beschluss vom 13.11.2010 - 2 BvR 1124/10, Rn 13

(4) Ebenda (3), Rn 22.

(5) "Ermittlungspersonen" gemäß § 152 GVG.

(6) BVerfG, Urteil vom 02.03.2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08, Leitsatz 6, Rn 256, 257

(7) Ebenda (1).
 

zurück zum Verweis kriminalistische List oder Verdeckter Ermittler?

 

15.06.2011 
Darf ein Polizist verschweigen, dass er ein Polizist ist?

Mit den Themen "nicht offen ermittelnder Polizeibeamter" - NoeP, Verdeckter Ermittler (1) und Scheinkäufe (2) beschäftigt sich bereits eine (wieder gefundene) Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1995 (3) (siehe unten). Ihr geht es im Wesentlichen um die Abgrenzung, ob ein Polizeibeamter noch als NoeP anzusehen oder sein Einsatz bereits an den Vorschriften über den Verdeckten Ermittler zu messen ist. Das Thema ist aktuell geblieben, wie auch eine Entscheidung aus dem Vorjahr zeigt (4). Danach ist der NoeP-Einsatz im Rahmen der kriminalistischen List zulässig, darf er den Kontakt zu einem Verdächtigen im Einzelfall aufnehmen und muss einen Beschuldigten nicht förmlich belehren (siehe auch private Hörfalle). Das Thema bleibt aktuell, weil es sich bei der Frage nach den zulässigen Ermittlungen im Internet wieder neu stellt (5).

Am 7. März 1995 hat der BGH bereits ausgeführt (6):

<7> Entscheidend ist, ob der Ermittlungsauftrag über einzelne wenige, konkret bestimmte Ermittlungshandlungen hinausgeht, ob es erforderlich werden wird, eine unbestimmte Vielzahl von Personen über die wahre Identität des verdeckt operierenden Polizeibeamten zu täuschen, und ob wegen der Art und des Umfanges des Auftrages von vornherein abzusehen ist, dass die Identität des Beamten in künftigen Strafverfahren auf Dauer geheimgehalten werden muss. Dabei ist darauf abzustellen, ob der allgemeine Rechtsverkehr oder die Beschuldigtenrechte in künftigen Strafverfahren eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung durch den Einsatz des verdeckt operierenden Polizeibeamten erfahren können.

<8> Ein Einsatz als verdeckter Ermittler kann danach ausscheiden, wenn ein Polizeibeamter - sei es auch unter einer Legende - lediglich als Scheinaufkäufer auftritt, ohne in die Ermittlungen darüber hinaus eingeschaltet zu sein. … dass der Polizeibeamte nicht nur bei einem Scheinaufkauf mitwirkte, sondern dass er langfristig angelegte Ermittlungsmaßnahmen gegen einen sich immer mehr vergrößernden Personenkreis durchführte.


(1) verschiedene V-Personen, 20.04.2008

(2) keine Tatprovokation, 20.04.2008

(3) BGH, Urteil vom 07.03.1995 - 1 StR 685/94

(4) BGH, Beschluss vom 18.05.2010 – 5 StR 51/10, Rn 15

(5) Dieter Kochheim, Ermittlungen im Internet, 12.05.2011

(6) Ebenda (3).
 

zurück zum Verweis private Hörfalle

 

15.06.2011 
Die Rechtsprechung zur Hörfalle (1) wird vom BGH wieder aufgenommen (2) und damit vor allem bestätigt, dass die strengen Belehrungspflichten des § 136 StPO nur auf das Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und den Strafverfolgungspersonen anzuwenden sind (3).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind diese Vorschriften auf Befragungen eines Beschuldigten durch Privatpersonen nicht anwendbar. Zum Begriff der Vernehmung im Sinne der StPO gehört vielmehr, dass der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt. Da die Regelungen nach ihrem Sinn und Zweck den Beschuldigten vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht im Rahmen einer Kraft staatlicher Autorität vorgenommenen Befragung bewahren sollen, sind sie auch dann nicht entsprechend anwendbar, wenn eine "vernehmungsähnliche" Situation durch eine Privatperson, die - wie hier - als Informantin der Polizei tätig wird, hergestellt wird. Aus den gleichen Gründen stellt sich das hier in Rede stehende Vorgehen auch nicht als unzulässige Umgehung des § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 StPO dar ( BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 - GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 145; BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 15 f.).

Veranlasst eine Privatperson unter Verheimlichung ihres Ermittlungsinteresses einen Tatverdächtigen, mit ihr ein Gespräch über die Tat zu führen, so begründet dies entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch keinen Verstoß gegen die unmittelbar oder entsprechend heranzuziehende Regelung der § 163a Abs. 3, § 136a Abs. 1 StGB.


(1) Lauschangriff am Mann, 25.04.2009

(2) BGH, Beschluss vom 31.03.2011 - 3 StR 400/10, Rn 8, 9

(3) BGH, Beschluss vom 18.05.2010 - 5 StR 51/10, Rn 16
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018